Aktuell: Things to come…

Nachdem es im Januar eher ruhig war und die Basics (v.a. Sekten- und Clansbeschreibungen) nun soweit vollständig sind, folgt nun ein kleiner Überblick über die Projekte, die wir in näherer oder weiterer Zukunft geplant haben.

Erweiterung der Informationen:
Zwar sind die Basics vorhanden, aber „Die Offenbarungen des Dunklen Vaters“ sollen eine umfassende Seite zu „Vampire: The Masquerade“ werden. Im Klartext: Es werden auch weiterhin Informationstexte folgen, u.a. über Pfade der Erleuchtung, Disziplinen, die seltenen Blutlinien, Sektendetails, Kainskindergeschichte etc.

Los Angeles by Night Revised:
1994 erschien das Städtebuch „Los Angeles by Night“, welches besagte, von den Anarchen kontrollierte US-Metropole thematisierte. Genau zehn Jahre später kam das Computerspiel „Vampire: The Masquerade – Bloodlines“ auf den Markt, welches ebenfalls in L.A. spielte, aber ein völlig anderes Bild der Stadt zeigte (was vor allem mit den Geschehnissen des Metaplots zusammenhängt, in erster Linie der Invasion der Cathayer). Wir wollen ein „Update“ für „Los Angeles by Night“ verfassen, das die Lücke zwischen Städtebuch und Computerspiel schließt und gleichzeitig Setting aktualisiert.

Der Angel-City-Zyklus:
Die Kurzgeschichten „Killer“, „Fleisch“ und „Jäger“ sind sehr unterschiedlich, haben aber eine Gemeinsamkeit: Sie spielen alle in derselben Stadt, der fiktiven US-Ostküsten-Metropole Angel City. Deren Einwohner werden auch weiterhin in Kurzgeschichten thematisiert werden, die irgendwann ein großes Ganzes ergeben werden. Selbstverständlich werden Silver, Alicia, Rhino, Charles und Ion Obertus schon bald weitere Auftritte haben.

Vampire: Ancient Rome
Unser langfristigstes Projekt. Das alte Rom ist eine faszinierende Epoche, auch für Vampire. Für „Vampire: Requiem“, das Nochfolge-System zu „Vampire: The Masquerade“, gibt es ein spezielles Setting namens „Requiem for Rome“, das sich mit Vampiren im alten Rom auseinandersetzt, aber leider nicht für „Vampire: The Masquerade“ selbst. Wir gedenken, das zu ändern.

Jäger

„You better wake up. The world you live in is just a sugar-coated topping. There is another world beneath it — the real world. And if you want to survive it, you better learn to pull the trigger!“
– Blade in „Blade“

Diese Stadt stank, und zwar sowohl metaphorisch als auch wortwörtlich. Das fing bereits auf dem Bahnhof an, den Silver Cross gerade zu verlassen gedachte. Zwar wirkte dieser auf den ersten Blick wie ein ganz gewöhnlicher Bahnhof einer Großstadt, doch wenn man genauer hinsah, stellte man fest, dass er noch weitaus heruntergekommener erschien, als das bei Einrichtungen dieser Art üblicherweise der Fall war. Beinahe jede Wand war mit Graffitis vollgesprüht, der Boden war fleckig und klebrig und die obligatorischen Geschäfte, die Zeitschriften, Backwaren oder ähnliches, das Reisende in aller letzter Sekunde zu kaufen pflegten, anboten, waren muffig und ungemütlich. Am schlimmsten jedoch war der Geruch, eine süßlich-widerliche Mischung aus abgestandenem Tabakqualm, Erbrochenem und Urin.
Da Silvers Blase schon seit einer halben Stunde unangenehm drückte und er es ablehnte, in Zügen zu pinkeln, hatte er einen Blick ins Bahnhofsklo geworfen, daraufhin allerdings beschlossen, dass er es noch eine Weile aushalten konnte. So etwas wie dieses WC hatte er wahrlich noch nie gesehen.
Natürlich, dieser Bahnhof war weder der größte noch der wichtigste von Angel City, aber dennoch hätte man doch ein wenig mehr auf ihn achten können.
Silver trat ins Freie hinaus, doch leider wurde es nicht wirklich besser. Ein selbst für diese Jahreszeit recht kalter Wind schlug ihm entgegen, der eine Vielzahl von Geräuschen transportierte: Verkehrslärm, Hafengeräusche, wildes Gefluche und das nervige Gekrächze von Möwen. Der Uringestank war inzwischen einem penetrantem Fischgeruch gewichen.
Obwohl Silver noch keine Stunde in Angel City weilte, konnte er jetzt schon sagen, dass er diese Stadt hasste. Aber was sein musste, musste eben sein.
Nachdenklich schaute er sich um. Wenigstens schien er am richtigen Ort innerhalb dieser Stadt gelandet sein. Man hatte ihm gesagt, dass er seinen Kontaktmann in der Nähe des Bahnhofs im Hafenviertel treffen sollte. Dummerweise hatte man ihm nicht gesagt, wer diese Kontaktperson war.
Die Umgebung des Hafens wirkte äußerst ungemütlich und wurde hauptsächlich von grauen Plattenbauten, Lagerhäusern und Kränen dominiert. Die Luft war diesig, was die Umgebung noch grauer wirken ließ, als sie ohnehin schon war.
„Hey, Silver“, rief plötzlich eine altbekannte Stimme.
Silver drehte sich um und lächelte gequält. „Ich hätte wissen müssen, dass du mich hier erwartest, Martin.“
Ein älterer Mann kam auf Silver zu und legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. Martin war mittelgroß, nicht dick, aber stämmig, mit kräftigen Armen. Sein Gesicht war wettergegerbt und wirkte gutmütig, sein Haar war ein wenig zerzaust und inzwischen fast vollkommen ergraut. Silver erinnerte sich allerdings noch gut an eine Zeit, in der es dunkelbraun gewesen war, seinem eigenen nicht unähnlich.
„Das ist also deine Heimat, von der du so geschwärmt hast?“, fragte Silver etwas ungläubig.
„Ja, das ist sie“, antwortete Martin mit seinem Jersey-Akzent, den Silver auch nach all den Jahren noch merkwürdig fand. „Angel City ist einfach einzigartig. Dieser Duft, diese Atmosphäre…“ Er lächelte selig. „Man muss diese Stadt einfach lieben.“
„Einzigartig, ja, das trifft es“, entgegnete Silver trocken. „Liebreizend. Ich musste fast kotzen, als ich da drin versucht hab‘ zu pissen. Und wenn wir weiter hier rumstehen und labern, nässe ich mich demnächst ein.“
Martin zuckte mit den Schultern. „Du hast dich kein bisschen verändert“, stellte er nüchtern fest. „Mein Club liegt nur ein paar Blocks weit entfernt, da kommen wir locker zu Fuß hin.“
Silver blickte seinen alten Freund argwöhnisch an. „Zu Fuß? Wahrscheinlich werden wir nach den ersten hundert Metern ausgeraubt und umgebracht. Oder wir ersticken wegen dem Mief. Ich ess’ nie wieder Fisch.“
„Und wenn schon. Wo bleibt denn sonst der Spaß im Leben?“, erwiderte Martin fröhlich.
In der Tat war Martins Club nicht sehr weit entfernt, allerdings war es glücklicherweise genug Abstand zu den Hafenanlagen, um den penetranten Fischgeruch auf ein Minimum zu reduzieren. Das Etablissement, Martin hatte es, weshalb auch immer, das Blue Ray genannt, wirkte wie ein ganz gewöhnlicher Club. Es war in einem recht alten und relativ großen Haus untergebracht, dessen Fassade einige Jugendstilelemente auswies. Allerdings blätterte der cremefarbene Anstrich bereits ab, sodass einige sehr hässliche Graustellen zu sehen waren.
Über der Eingangstür prangte ein großes Leuchtschild mit der Aufschrift „Blue Ray“, das im Moment allerdings nicht eingeschaltet war.
Martin ging am Haupteingang vorbei in einen relativ engen und düsteren Innenhof, holte einen Schlüssel aus seiner Tasche und schloss eine schlichte, aber massive Holztür auf und durchschritt sie.
Silver folgte seinem alten Freund ins Innere des Gebäudes und zog die Tür hinter sich zu. Martin hatte inzwischen das Licht angemacht, sodass Silver nun sehen konnte wo er sich befand: In einem Treppenhaus. Martin war bereits vorausgeeilt und Silver bemühte sich nun, die Treppe möglichst schnell hinaufzukommen, da der Druck auf seiner Blase kontinuierlich zunahm.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte Silver endlich eine weitere Tür, die in Martins Privatwohnung führte, die über dem Club lag.
Das Appartement des alten Mannes war recht schlicht; dunkles Holz dominierte, es gab viele alte, aber durchaus gemütliche Möbel und einen Kamin, in dem allerdings gerade kein Feuer brannte. Das einzige wirklich hervorstechende Merkmal der Wohnung waren die vielen Waffen; über dem Kamin hing eine mächtige Armbrust und an den Wänden waren alle möglichen Schwerter, Säbel, Äxte, Hellebarden und Streitkolben aufgehängt.
„Nett hast du’s hier“, meinte Silver. „Wo ist das Klo?“
„Da hinten.“
Nachdem Silver sich erleichtert hatte, setzte er sich zu Martin an den Tisch.
Der Ältere hatte bereits eine Flasche Whiskey geöffnet und sich und Silver eingeschenkt.
„Also, erzähl mal, warum bist du hier auf der anderen Seite des großen Teiches. Habt ihr im alten Land nichts mehr zu tun?“
„Hat dich die Schwarze Flamme nicht instruiert?“, erwiderte Silver.
„Doch hat sie. Auf ihre übliche Weise. Sehr kryptisch“, antwortete Martin, während Silver einen großen Schluck nahm.
„Igitt“, ächzte der Jüngere, „was ist denn das für eine Pisse.
„Bourbon“, lächelte Martin. „Man gewöhnt sich dran.“
Angewidert schob Silver das Glas von sich weg. „Hast du keinen Jack Daniel’s?“
Martin schüttelte den Kopf und steckte sich eine Zigarette an. „Also?“, fragte er.
„Du erinnerst dich doch sicher an diese Sache in Antakya, oder?“
Der Ältere nickte bedächtig. „Unschöne Geschichte, nach allem, was man so hört. Bin froh, dass ich nicht dabei war.“
Silver lächelte grimmig. „Wir haben damals den Dämonenkult zerschlagen. Zumindest haben wir das bis vor kurzem geglaubt. Bis es zu einem seltsamen Vorfall in New York kam, mit eindeutigen Indizien. Die Spur hat hier her geführt. Und da wir Jäger hier in Angel City und Umgebung sowieso sehr rar gesät sind und übernatürliche Aktivitäten hier stark zunehmen, meinten sie, dass ich gleich einen Außenposten gründen könnte. Mein Gepäck kommt demnächst per Luftpost. Hast du eine Ahnung, wo ich wohnen könnte?“
„Für den Anfang kannst du hier schlafen, bis du was gefunden hast, das dir zusagt“, entgegnete Martin.
Silver ließ seinen Blick nachdenklich über die Wände wandern. „Wenigstens hast du genug Waffen.“
„Du hast ja keine Ahnung, mein Freund. Keine Ahnung.“
„Ah, wir werden ominös“, meinte Silver mit gekräuselten Lippen.
„Eine der Freuden des Alters.“ Martin blies Silver Rauch ins Gesicht, so dass dieser angewidert das Gesicht verzog. „Also“, wollte der Ältere wissen, „wen schicken sie noch?“
„Rhino“, antwortete Silver. „Rhino Sources. Er kommt auch von hier“, fügte er auf Martins fragenden Blick hinzu. „Anfang der Neunziger haben ein paar Jäger wegen eines Werwolfs der Stadt einen Besuch abgestattet und ihn vom Fleck weg rekrutiert. Und ansonsten“, der Jüngere zuckte mit den Achseln, „keine Ahnung. Man erwartet wohl, dass ich mich nach neuen Rekruten umschaue.“
„Ja, das ist typisch“, entgegnete Martin wissend. „Apropos, ich glaube, du solltest meine Barfrau mal kennen lernen.“

Nachdem die Sonne untergegangen war, musste Silver feststellen, dass sich die Stadt verändert hatte. Er wusste nicht so recht, ob es mit der Dunkelheit oder den etwas eigentümlichen, orange glühenden Straßenlaternen zusammenhing, oder ob es schlicht die Tatsache war, dass er sich nun in der Innenstadt und nicht mehr am Hafen befand.
Auf jeden Fall besaß Angel City bei Nacht eine merkwürdige, schwer fassbare Schönheit; eine düstere und bedrückende Anmut, die mit den zugleich kunstvollen und erschreckenden Wasserspeiern und gotisch anmutenden Wolkenkratzern zusammenhing. Eine Schönheit, wie sie ein Edgar Allan Poe oder Howard Phillips Lovecraft empfunden hätten. Unglücklicherweise konnte er mit beiden Autoren nicht allzu viel anfangen, da ihre Werke ihn zu sehr an seine Arbeit erinnerten.
Wenn man allerdings genauer hinsah und sich von den viel besuchten und befahrenen Hauptstraßen abwandte, verschwand diese Schönheit sehr schnell. In den kleineren Gassen und Hinterhöfen zeigte sich abermals das wahre Gesicht der Stadt in Form von Graffitis, Huren, verkommenen Absteigen, Obdachlosen und umgeworfenen Mülleimern.
Nachdem er sein Gepäck, das aus New York nachgekommen war, abgeholt hatte, hatte sich Silver aufgemacht, um sich ein genaueres Bild von der Stadt zu machen, in der er demnächst arbeiten würde. Eine Spur der Kultisten hatte er noch nicht gefunden, allerdings hatte er das auch nicht wirklich erwartet und ernsthaft gesucht hatte er auch nicht. Bevor Rhino nicht eingetroffen war und er noch ein wenig Rückendeckung hatte, war es sowieso völlig sinnlos, in die Schlacht zu ziehen. Silver hoffte inständig, dass die Schwarze Flamme weitere Leute schicken würde, denn wenn er nur Rhino und Martin hatte und alle weiteren benötigten Leute hinzurekrutieren musste, würde die Angelegenheit noch sehr lange dauern, und das ging ihm gegen den Strich. Die Abneigung gegen Angel City war trotz des etwas veränderten nächtlichen Bildes nicht abgeklungen.
Wer weiß, was hier sonst noch sein Unwesen treibt, überlegte er, während er an einer Hauptstraße entlang schlenderte und eine leere Coladose vor sich her kickte. Angel City riecht geradezu nach übernatürlichem Scheiß. Ob es hier wohl andere Jäger gibt?
Diese Frage beschäftigte ihn schon länger. Wenn er schon hier arbeiten musste, hoffte er inständig, dass die Leopoldgesellschaft hier keine Zelle unterhielt. Obwohl die Schwarze Flamme streng genommen eine Untergruppe der Leopoldgesellschaft war, gab es gewisse Uneinigkeiten. Die Leopoldgesellschaft war der direkte Nachfolger der Inquisition und verhielt sich auch genauso. Natürlich wurden in der Öffentlichkeit keine Hexen mehr verbrannt, aber die Inquisition hatte ihren Kampf gegen das Übernatürliche nie aufgegeben. Im Zeitalter von Flugzeugen und Mobiltelefonen ging sie allerdings ein wenig subtiler zu Werke. Was aber nichts an der Tatsache änderte, dass sie immer noch vorwiegend aus engstirnigen religiösen und vollkommen humorlosen Fanatikern bestand. Und mit solchen Leuten konnte man einfach nicht arbeiten.
Natürlich gab es die Leopoldgesellschaft eigentlich gar nicht, genau genommen bestand sie aus einem ganzen Haufen kleinerer Orden, so wie die Schwarze Flamme einer war. Aufgrund ihrer etwas liberaleren Einstellung hatten die Mitglieder der Schwarzen Flamme bei den anderen Orden keinen besonders guten Ruf. Im Gegensatz zum Rest der Inquisition glaubte die Schwarze Flamme nicht, dass übernatürlich automatisch böse und teuflisch bedeutete. Man war der Meinung, dass man Feuer durchaus mit Feuer bekämpfen durfte. Diese Ansicht war einer der größten Trümpfe der Schwarzen Flamme; ihre Agenten konnten Magie mit Magie begegnen und mussten sich nicht auf Glauben verlassen. Natürlich war diese Magie weder besonders kompliziert noch besonders tiefgehend, aber doch äußerst nützlich bei der Aufspürung und Vernichtung übernatürlicher Feinde.
Ein einzelner Regentropfen riss Silver aus seinen Gedanken. „Auch das noch“, murmelte er. Es war wohl Zeit, zu Martins Club zurückzukehren. Für heute Abend hatte er ohnehin genug gesehen. Das Blue Ray musste inzwischen geöffnet haben und Martin hatte ihm sowieso geraten, einmal mit seiner Barfrau zu sprechen.

Als Silver bei Martins Club ankam, musste er feststellen, dass dieser anscheinend sehr beliebt war. Das Blue-Ray-Schild über dem Eingang leuchtete und blinkte in den passenden Farben und vor dem Eingang hatte sich eine lange Schlange gebildet. Zum Glück war Silver dem Türsteher bereits vorgestellt worden, sodass er nun keine Probleme hatte, in den Club hineinzukommen.
Wie nicht anders zu erwarten war die vorherrschende Farbe im Inneren blau. Laute, elektronische Musik dröhnte durch den Innenraum, der von einer großen Tanzfläche dominiert wurde.
Silver schlenderte auf die Bar zu und nahm die Frau, die dort bediente, in Augenschein. Sie war etwa so alt wie er, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger und äußerst attraktiv. Sie hatte langes, dunkelbraunes Haar mit einigen blonden Strähnen und trug ein graues Tank Top sowie eine recht enge, schwarze Hose, die ihr mit Sicherheit allabendlich ein hohes Trinkgeld sicherte. Sie hatte einen neckischen Zug im Gesicht, der sie ein wenig frech wirken ließ, aber gleichzeitig dafür sorgte, dass sie noch anziehender wirkte.
„Schönen guten Abend“, sagte Silver höflich und setzte sich auf einen Barhocker.
„Hallo, mein Hübscher“, entgegnete sie. „Was darf’s sein?“
„Jack Daniel’s“, entgegnete Silver.
„He, Moment mal, bist du nicht dieser Kumpel von Martin? Wie war das noch gleich, Golden Star?“
„Silver Cross“, entgegnete Silver, nicht ganz sicher, ob er lachen oder sich aufregen sollte.
„Genau“, rief sie aus und reichte ihm seinen Drink. „Martin meinte, ich hätte Talente, die du suchst. Ich hoffe, du bist kein Zuhälter. So was mache ich nämlich nicht mehr. Obwohl ich dafür wirklich Talent hatte.“
Der Jäger lächelte. Das Mädel war ihm eindeutig sympathisch.
„Nein, ich bin kein Zuhälter“, erwiderte er. „Mein Job ist ein wenig, äh, ausgefallen. Ich bin so eine Art Privatdetektiv mit einem sehr ungewöhnlichen Spezialgebiet“
„Aha, Sam Spade junior“, witzelte sie. „Ich bin übrigens Alicia. Und wie kommst du zu diesem etwas ungewöhnlichen Namen?“
Silver zuckte mit den Schultern. „Ist irgendwie hängen geblieben“, sagte er ausweichend.
Alicia verstand den Wink und fragte nicht weiter nach. Stattdessen wollte sie wissen, welche Talente Martin denn nun gemeint hatte.
„Ich hatte gehofft, dass du mir das sagen kannst“, sagte Silver.
„Ich habe ein gewisses Talent darin, Leute aus Bars rauszuschmeißen, die zudringlich werden. Ich kann ganz gut mit Messern und Knarren umgehen. Und ich weiß, wie man sehr viele Kippen in sehr kurzer Zeit raucht.“
„Ich glaube mit dem zweiten kann ich etwas anfangen. Wenn du willst, nehme ich dich mal zu meiner Arbeit mit. Vorher muss mein Kollege allerdings noch hier ankommen.“
„Noch ein Privatdetektiv?“
„Gewissermaßen“, meinte Silver und leerte sein Glas.

„Nette Bude“, sagte Rhino, zog seinen Mantel aus und warf ihn achtlos in eine Ecke. Dann ließ er sich in einen von Martins Sessel fallen. „Was für ein Scheißloch von einer Stadt. Es ist schlimmer geworden, seit ich das letzte Mal hier war.“
Silver setzte sich neben seinen alten Freund und Kampfgenossen. Rhino hatte sich kein Bisschen verändert. Er hatte immer noch mächtige Schultern, trug sein rotbraunes Haar in einem Pferdeschwanz und sagte geradeheraus, was er dachte, und das mit einem äußerst hohen Anteil an Fäkalausdrücken pro Satz.
„Warum musste sich dieser Dreckskult ausgerechnet meine alte Heimatstadt aussuchen?“
Silver zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, aber ich bin dafür, dass wir sie möglichst bald fragen.“
„Ja, dann kommen wir nämlich möglichst bald wieder hier weg. Scheiße noch mal, alles ist besser als AC, sogar London.“
„Das könnte problematisch werden“, entgegnete Silver halb ernst, halb schadenfroh. „Die Schwarze Flamme wünscht nämlich, dass wir hier einen Außenposten aufmachen, der sich um das Viehzeug in der Gegend kümmert.“
„Die Schwarze Flamme kann mich am Arsch lecken“, meinte Rhino.
„Ist das dein Kumpel?“, fragte eine weibliche Stimme. Alicia betrat das Zimmer und musterte Rhino neugierig. „Ich wollte eigentlich nur kurz mit Martin sprechen.“
„Der macht gerade eine Besorgung“, erklärte Silver.
Rhino ließ seinen Blick über die Barfrau wandern und blieb schließlich an ihrem Ausschnitt hängen. „Vielleicht überleg’ ich es mir noch mal“, murmelte er.
„Scheint ja ein netter Kerl zu sein. Willst du uns nicht vorstellen, Silver?“
„Rhino, das ist Alicia. Sie arbeitet für Martin und könnte uns behilflich sein. Alicia, das ist Rhino, mein Kollege“, sagte Silver gelangweilt.
„Hallo, meine Schöne.“ Rhino schoss abrupt aus seinem Sessel hoch.
„Angenehm“, erwiderte Alicia, ohne eine Miene zu verziehen. „Vielleicht kannst du mir ja sagen, als was ihr arbeitet. Dein Freund ist da sehr kryptisch. ‚So einer Art Privatdetektiv…’“
„Wir sind eine Splittergruppe der römischen Inquisition, die sich um bösartige Übernatürliche, Infernalisten und anderes, ähnlich geartetes Gesocks kümmert“, antwortete Rhino, als hätte er einen Text auswendig gelernt.
Die Miene der jungen Frau blieb immer noch unbewegt. Wahrscheinlich, überlegte Silver, weil sie nicht weiß, ob sie lachen oder weggehen soll.
Langsam wanderte ihr Kopf zu Silver, als erwartete sie eine Erklärung von ihm.
„Ich wollte dich eigentlich langsam zu diesem Thema hinführen“, meinte dieser mit unschuldiger Stimme, „aber das trifft es eigentlich ziemlich genau.“
Ungläubig zog sie eine Augenbraue hoch. „Warum gerate ich immer an die Irren?“
„Tust du nicht. Ich bin bei vollem Verstand. Was man allerdings von Rhino nicht sagen kann.“
„Vielen Dank auch“, rief Rhino dazwischen und setzte sich wieder in seinen Sessel.
„Ihr wollt mir also tatsächlich weismachen, dass ihr die Ghostbusters seid?“
„Nicht wirklich. Meistens ist unsere Arbeit nicht sehr komisch. Zwar treffen wir zum Beispiel nur sehr selten auf Werwölfe, weil die meistens in Ruhe gelassen werden wollen, aber wenn wir uns mal mit ihnen anlegen müssen, ist das äußerst unangenehm. Frag Rhino, der kann ein Liedchen davon singen.“
„Amen Bruder.“ Der sitzende Jäger zog mit einer flinken Bewegung seinen schwarzen Pullover aus und entledigte sich anschließend der schusssicheren Weste, die er darunter trug. Seine muskulöse Brust war von ein paar gewaltigen Narben gezeichnet, die aussahen, als stammten sie von etwas, das die Größe eines Grizzlybären hatte.
„Autsch“, kommentierte Alicia unwillkürlich.
„Das kannst du laut sagen, Mädel. Ich hab’ geblutet wie ein abgestochenes Schwein.“
„Werwölfe also… Und was noch? Geister? Vampire? Dämonen?“
„Geister kommen hin und wieder mal vor, aber die sind meistens eher unproblematisch. Lassen sich recht gut austreiben oder sind keine Bedrohung.
Vampire“, Silver dachte kurz nach, „ich weiß, dass es sie gibt, aber ich bin noch nie einem begegnet. Hin und wieder kommt uns mal einer vor die Flinte, den wir dann auch wegpusten. Die Inquisition hatte früher massive Probleme mit ihnen, aber dann sind sie irgendwie untergetaucht. Wahrscheinlich gibt es nicht mehr allzu viele.
Dämonen sind unser wirkliches Problem. Wobei es sehr selten vorkommt, dass wir es mal wirklich mit einem leibhaftig zu tun bekommen. Aber ihre Kulte sind die reinste Pest. Infernalisten, Satanisten, das ganze Pack. Und genau wegen denen sind wir hier her gekommen.“
Alicia wirkte nicht überzeugt. Aber es hätte Silver auch gewundert, hätte sie ihm einfach ohne weiteres geglaubt.
„Wir nehmen dich einfach mal auf einen unserer Ausflüge mit“, bot Silver an. „Wir brauchen sowieso jemand bei uns, der sich in der Stadt auskennt.“
„Aha“, sagt Alicia langsam. „Und…wie findet ihr eure Satanisten?“
„Nichts leichter als das.“ Silver sah sich in der Wohnung um, bis er eine Zeitung sah, die auf einer Kommode lag. Er nahm sie zur Hand und blätterte in ihr herum, während er weiter sprach: „Ungeklärte Mordfälle, verschwundene Leute. Die meisten Infernalisten sind nicht gerade subtil. Aha“, er nahm eine Doppelseite heraus und breitete sie triumphierend aus.
Ungeklärtes Blutbad in alter Lagerhalle am Hafen“, las er laut vor. „Sie vermuten die Mafia dahinter, haben aber keine Beweise. Grund genug, uns das mal anzuschauen.“

„Sehr behaglich“, kommentierte Rhino.
Silver warf einen Blick zu Alicia, auf deren Gesicht sich ein unbehaglicher Ausdruck ausgebreitet hatte, der wohl vor allem von der Polizeiabsperrung und den Blutspuren herrührte. Allerdings war die Lagerhalle im Allgemeinen nicht sehr gemütlich. Sie starrte vor Dreck und stank nach Fisch und Moder. Bis auf Trümmer und Müll war sie leer, die ausgeweideten Leichen, von denen in der Zeitung die Rede gewesen war, hatte man bereits weggeschafft.
Während Rhino sich die Holztrümmer in einer Ecke ansah, untersuchte Silver die Blutspuren auf dem Boden. Dabei registrierte er, dass Alicia immer nervöser wurde, von einem Bein auf das andere trat und auf ihrer Lippe herumkaute.
„Zum Glück“, sagte er zu ihr, „haben wir auch ein paar besondere Fähigkeiten auf dem Kasten.“
Alicia erschrak sich, kam dann aber näher an Silver heran. „Zum Beispiel?“, fragte sie ungläubig.
Silver zog eine Wasserflasche aus seinem Mantel, entledigte sich dann seiner Handschuhe und fasste in eine größere Blutlache, die noch nicht ganz vertrocknet war. Rhino hatte sich vom Holz inzwischen abgewandt und schaute ebenfalls gespannt zu.
Unter Alicias angewiderten Blicken leckte Silver das Blut von seinem Finger und schloss für einen Moment die Augen. Dann nahm er einen Schluck aus der Wasserflasche und spuckte den Inhalt seines Mundes so schnell wie möglich aus. Mit der Zeit gewöhnte man sich zwar ein wenig daran, aber besonders appetitlich war es trotzdem nicht. Er suchte in seinen Taschen nach einem Kaugummi, um den Blutgeschmack aus dem Mund zu kriegen, fand zu seinem Bedauern aber keinen.
„Igitt“, sagte Alicia. „Wofür war das gut?“
„Eklig, aber verdammt nützlich“, warf Rhino ein.
„Ich weiß jetzt“, antwortete Silver, „wie die Opfer gestorben sind. Das stand nämlich nicht in der Zeitung.“
„Und das bedeutet…?“
„Nun ja, die Mafia benutzt für gewöhnliche keine Elfenbeindolche.“
„Aber Satanisten tun das?“
„Bingo“, sagte Rhino. „Das ist doch schon mal eine erste Spur.“
Silver nickte zufrieden

***

Das flackernde Neonlicht und die auf den ersten Blick sterile Umgebung ließen Alicia frösteln. An wen war sie da nur geraten?
Dieser Silver mochte ja sympathisch und durchaus auch attraktiv sein, aber offensichtlich war er ein wenig durchgeknallt. Sie wollte ihm ja glauben, dass er ein Jäger von Dämonen und Werwölfen war, aber es war so…unglaubwürdig.
Der Einbruch in das Leichenschauhaus hatte das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht. Alicia mochte Leichenschauhäuser schon aus Prinzip nicht. Dass sie sich nun illegal in einem aufhielt, verbesserte die Situation nicht wirklich.
Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust, um die Gänsehaut zu verbergen und wünschte sich, sie säße mit einer Tasse Tee vor ihrem Fernseher.
Währenddessen waren Silver und Rhino schon eifrig am Arbeiten. Die beiden schien das Ambiente überhaupt nicht zu stören.
Wahrscheinlich sind sie’s gewohnt, dachte Alicia.
„Ich hab einen“, rief Silver.
Er hatte eine der typischen „Schubladen“ aus der Wand gezogen und war gerade dabei, den Leichensack zu öffnen.
Alicia schluckte. Sie empfand eine merkwürdige Mischung aus Neugier und Abscheu. Was sollte das werden? Die beiden Herren hatten ihr nichts erklärt, und sie hatte sich nicht getraut nachzufragen. Nun blieb ihr nur, abzuwarten.
„Hmm“, machte Silver und betrachtete den halb entblößten Leichnam. Es handelte sich dabei um einen Mann von vielleicht 40 Jahren mit Schnauzbart. Er sah völlig durchschnittlich aus – bis auf die Tatsache, dass er mehrere Stichwunden in seinem Bauch hatte und dass sein Gesicht grässlich verzerrt war, ob vor Schmerz oder Angst war nicht zu sagen.
„Fang an“, forderte Rhino. „Ich will’s so schnell wie möglich hinter mich bringen.“ Zu Alicia gewandt flüsterte er: „Ich hasse diesen Teil. Was er gleicht macht ist…brrr.“
Das ermunterte sie nicht gerade. Widerwillig und doch neugierig blickte sie zu Silver und hätte mit allem gerechnet, nur nicht mit dem, was jetzt geschah.
Als wolle er einen schlafenden Kumpel aufwecken, verpasste Silver dem Leichnam rechts und links je zwei Ohrfeigen.
„Aufwachen“, sagte er mit langsamer und eindringlicher Stimme. „Ich brauche dein Wissen.“
Und zu Alicias Entsetzen öffnete der Tote tatsächlich seine Lider und blickte sich mit blutunterlaufenen Augen um, bevor er rasselnd Atem zu holen versuchte. Doch anscheinend nützte es nichts; auf seinem bleichen Gesicht spiegelte sich maßlose Verwirrung wider.
„Oh, mein Gott“, flüsterte Alicia.
„Ich dachte, ich wäre tot“, ächzte der Leichnam.
„Bist du“, antwortete Silver höflich. „Ich will nur ein paar Auskünfte, dann darfst du bis zum Jüngsten Gericht weiterschlafen.“
„Verdammt“, fluchte der Tote, „ich hatte gerade meinen Fernseher abbezahlt. Und dann kamen diese merkwürdigen…“
„Ja? Wer kam?“, fragte Silver schnell.
„Ich weiß nicht. Irgendwelche Satanisten oder so. Sie haben mich entführt und in einer alten Lagerhalle… Weißt du, wie das ist, wenn man dir ein Messer in den Bauch rammt? Mehrmals? Das tut verdammt weh.“
„Hör mal, Kumpel, ich will die drankriegen, die dir das angetan haben. Hast du zufällig etwas aufgeschnappt, das mir helfen könnte?“
Damit schien er das Interesse des Kadavers geweckt zu haben.
„Ja, warte mal. Einer von denen hat was von ‚Newman-Street 32’ gesagt. Das is’ in der Altstadt. Sonst gab’s hauptsächlich Kauderwelsch, den ich nicht verstanden habe. Dämonen, Fremdsprachen.“ Er zuckte mit den Achseln. „Bringst du sie um?“
„Vermutlich“, entgegnete der Jäger. „Es wird auf jeden Fall nicht angenehm für sie.“
„Gut“, meinte der Kadaver zufrieden.
„Vielen Dank für deine Hilfe, du kannst jetzt in Frieden ruhen.“
Fast augenblicklich wich das „Leben“ aus dem Körper und er sackte zusammen. Silver legte ihn zurück in die ursprüngliche Position. Als er den Leichensack zumachte, erhaschte Alicia einen letzten Blick auf das Gesicht des Toten: Seine Züge waren nun nicht mehr verzerrt, sondern deuteten ein zufriedenes Lächeln an.
Erst jetzt, nachdem die Leiche wieder da war, wo sie hingehörte, merkte Alicia, wie verkrampft sie die ganze Zeit über gewesen war. Sie atmete tief und erleichtert aus – seit ihrem „Oh, mein Gott“ hatte sie kaum Luft geholt.
„Glaubst du uns jetzt?“, fragte Silver lächelnd.
„Habe ich eine andere Wahl?“, entgegnete sie.
„Vermutlich nicht.“

In dieser Nacht konnte Alicia nicht schlafen. Wann immer sie die Augen schloss, erschien das Bild des sprechenden Kadavers. Eine Stunde lange wälzte sie sich herum, dann stand sie wieder auf und machte sich einen Tee, in der Hoffnung, er würde helfen. Im Nachhinein stellte sich das als schlechte Idee heraus, da sie in der nächsten Stunde noch mehrmals aufs Klo musste. Und selbst danach klappte es mit dem Einschlafen nicht, sodass sie schließlich vor dem Fernseher landete und zwischen Pornos, dämlichen Spielshows und den Wiederholungen alter Sitcoms hin und her zappte, bis sie irgendwann in einen unruhigen, von Alpträumen geplagten Schlaf verfiel.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Ihre Glieder taten weh, ihre Haare waren völlig zerzaust und sie war sich sicher, dass sie dunkle Ringe unter den Augen hatte. Ein Blick in den Spiegel offenbarte, dass es nicht ganz so schlimm war, und nach einer extragroßen Portion Kaffee und einer extralangen Dusche fühlte sie sich besser. Eigentlich gab es viel zu tun – die Steuererklärung musste gemacht werden, es gab schmutzige Wäsche und mit dem Zustand ihrer Küche war sie auch nicht sonderlich zufrieden. Doch Alicia konnte sich auf nichts konzentrieren. Die ganze Zeit überlegte sie, ob sie nicht einfach bei Martin kündigen und das Weite suchen sollte. Sie war ja sicher nicht zart besaitet und hatte so einiges erlebt, aber eine aufwachende Leiche war für ihren Geschmack ein wenig zu viel. Andererseits würde sie sich, wenn sie diese Idee in die Tat umsetzen würde, wahrscheinlich ihr Leben lang fragen, wie die ganze Geschichte ausgegangen war und ob sie nicht doch etwas verpasst hatte. Den ganzen Tag rang sie mit sich selbst, bis es langsam spät wurde und der Beginn ihrer Schicht näher rückte. Schließlich entschloss sie sich dazu, ganz wie gewohnt zur Arbeit zu gehen und darauf zu warten, was der Abend brachte.
Und in der Tat: Als die Schicht halb vorbei war, lehnte sich Silver lässig an den Tresen. Abermals fragte sich Alicia, wie um alles in der Welt er wohl dazu gekommen war, das zu tun was er tat. Wie konnte man sich nur freiwillig auf so etwas einlassen?
„Rhino und ich besuchen heute die Newman Street. Wenn du wieder mitkommen möchtest…“
Zu ihrer eigenen Überraschung sagte Alicia sofort zu, nur um sich während der nächsten Stunden über sich selbst zu wundern. Noch mehr beunruhigte sie dieses merkwürdige Gefühl der Aufregung, das sich langsam in ihr breit machte.
Nach ihrer Schicht traf sie sich mit Silver und Rhino beim Seiteneingang des Blue Ray. Ihr fiel sofort auf, dass die beiden bewaffnet waren. Sie mochten auch schon zuvor Waffen getragen haben, aber da war es ihr nicht aufgefallen. Der schwarze Mantel, den Silver trug, verbarg zwar das, was Alicia als Samuraischwert bezeichnen würde (auch wenn es sicher eine treffendere Bezeichnung gab), zwar größtenteils, aber eben nicht völlig. Rhino hingegen schien etwas Großkalibriges bei sich zu tragen, das Alicia ebenfalls nicht identifizieren konnte, da auch er einen Mantel trug. Während sie die beiden kurz musterte, verkniff sie sich angestrengt einen Kommentar über rote und blaue Pillen. Silver folgte ihren Blicken.
„Du hast gesagt, du könntest ganz gut mit Knarren umgehen“, meinte Silver. „Es könnte sein, dass du heute eine brauchst. Ich leih‘ dir meine Beretta.“ Der Jäger griff in seinen Mantel und reichte ihr besagte Waffe. In der Tat ging Alicia hin und wieder auf den Schießplatz. Vor allem früher hatte es sich als nützlich erwiesen, Leuten, die zudringlich wurden, ein, zwei Mal vor die Füße zu schießen. Aber Alicia hatte noch nie jemanden erschossen. Die Beretta kam ihr groß und irgendwie unförmig vor und sie wusste nicht, wohin damit, also steckte sie sie in ihre Jackentasche und hoffte, dass es nicht zu auffällig war. Andererseits, den Ordnungshütern würde wohl zuerst der Mann mit dem Schwert auffallen.
„Warum nachts?“, wollte Alicia wissen und dachte an diverse Filme, die sie gesehen hatte, in denen derartige Aktionen auch stets in der Nacht stattgefunden hatten – mit oft unangenehmen Ergebnissen für die Protagonisten.
Dieses Mal war es Rhino, der antwortete: „Tagsüber würden wir niemanden antreffen“, erklärte er ihr. „Die Drecksäcke sind allesamt Nachteulen. Aber wahrscheinlich treffen wir auch jetzt niemanden.“
Silver nickte zustimmend. „Die Arbeit eines Jägers besteht zu etwa achtzig Prozent aus langweiligen Nachforschungen und noch öderem Papierkram.“
„Und die restlichen zwanzig?“
Silver lächelte schief. „Horror, Blut und Feuer.“

Horror, Blut und Feuer. Wenn es einen Ort in Angel City gab, an dem wenigstens zwei dieser drei Dinge regelmäßig zu finden war, dann war es die Altstadt. Die reichen Mafiabosse mochten im noblen Four Leafs, das gerne als Bonzenviertel bezeichnet wurde, residieren, doch die Altstadt war die Arbeitsstätte. Hier waren die Drogenlabors, die halblegalen Wettbüros und die zwielichtigeren Bordelle für die Leute mit exotischeren Geschmäckern, die auf Angel Citys berühmter Rotlichtmeile keinen Platz hatten. Wer klug und anständig war, mied die Altstadt nach Einbruch der Dunkelheit. Aber dass Satanisten hier ihr Unwesen trieben wunderte Alicia nicht wirklich.
„Nettes Viertel“, kommentierte Silver, während sie mit einem Leihwagen (Silvers persönliches Fahrzeug wurde laut seiner Aussage nachgeliefert) durch die Straßen der Altstadt fuhren. Er parkte das Auto etwas weiter vom Zielort entfernt. Wie der Rest der Altstadt auch wirkte die Newman Street heruntergekommen und ungemütlich. Hausnummer 32 unterschied sich nicht groß von den Gebäuden links und rechts, mit einem Unterschied: Vor der Tür stand jemand. Glücklicherweise hatte besagte Person Silver, Rhino und Alicia noch nicht gesehen, weshalb sie sich problemlos in einer dunklen Einfahrt verstecken konnten.
„Ungewöhnlich“, bemerkte Silver flüsternd, nachdem er die Wache gemustert hatte, so gut das aus dem Versteck heraus und bei der zwielichtigen Beleuchtung eben ging.
Alicia nahm ihn ebenfalls unter die Lupe: Der Kerl war untersetzt, hatte lichter werdendes Kraushaar, trug eine schlecht sitzende Anzughose, ein nicht dazu passendes Sakko, hielt eine Maschinenpistole in der einen Hand, eine brennende Zigarette in der anderen und fror anscheinend ziemlich. In Alicia erwachte das Verlangen, sich ebenfalls eine anzustecken, aber das war zum gegenwärtigen Zeitpunkt freilich ziemlich unvernünftig.
„Was ist ungewöhnlich?“, flüsterte Alicia zurück.
„Der Typ passt nicht ins Bild. Riecht irgendwie nach Mafia. Und gefällt mir nicht. Rhino, würdest du?“
„Aye, aye.“ Rhino holte etwas aus seinem Mantel heraus, das verdächtig nach einem Blasrohr aussah. Der dazu passende Pfeil folgte sofort. Rhino wusste das Gerät zielsicher einzusetzen, der Wachmann brach zusammen, sobald der Pfeil sich in seinen Hals gebohrt hatte.
„Sehr viel praktikabler als ihn zu erschießen“, erläuterte Silver. „Und wir töten nicht, wenn es nicht unbedingt sein muss.“
„Amen“, fügte Rhino hinzu.
Das war doch beruhigend. Dennoch – und trotz der Anspannung – merkte sie, dass Silver ganz offenbar ziemlich gerne und auch ungefragt dozierte. Und sie merkte, dass ihr diese Eigenschaft ein wenig auf die Nerven ging.
Ins Haus gelangten sie problemlos, da die Wache die Tür offen gelassen hatte. Das Innere wirkte eng und schmuddelig, passend zur heruntergekommenen Fassade. Alicia sah sich um. Sie befanden sich in einem Vorraum, eine Treppe führte in den ersten Stock und eine Tür in die hinteren Zimmer. Durch die geschlossene Tür waren dumpfe Stimmen zu hören.
„…keine Ahnung, was das hier soll. Der Boss hat nur gesagt, wir solln aufpassen und nicht nach oben gehen. Na ja, wird schon wissen, waser macht. Solang‘s am Schluss Kohle gibt.“
Silver legte einen Zeigfinger auf die Lippen, drückte sich an die Wand und näherte sich der Tür, um kurz in die Hocke zu gehen und durchs Schlüsselloch zu spähen. In einer einzigen, fließenden Bewegung stand er wieder auf und hob drei Finger in die Luft.
„Hast du schon die neue Nutte vom Boss gesehen? Frisch aus Peru. Der würd ich’s gerne mal besorgen.“
Alicia drückte sich gegen die Wand. Sie hatte eine Ahnung, was jetzt kommen würde, als Rhino knapp nickte und sein Blasrohr wieder auspackte, zusammen mit zwei weiteren Pfeilen. Er postiere sich gegenüber von Silver und dann ging alles Schlag auf Schlag. Silver riss die Tür auf, duckte sich und Rhino verschoss seine beiden Pfeile in atemberaubender Geschwindigkeit. Dem dritten hieb Silver mit dem Griff seines Schwerts heftig gegen die Schläfe, und das alles, bevor die drei überhaupt Zeit zu einer angemessenen Reaktion hatten. Anschließend entnahm Silver ihren Schusswaffen die Munition und sammelte Klappmesser ein, während Rhino dem, den Silver ausgeknockt hatte, ebenfalls einen Pfeil verpasste. Schließlich durchsuchten die beiden noch die restlichen Räume des Untergeschosses, fanden aber niemanden. Alicia musste zugeben, dass sie beeindruckt war. Das alles wirkte auf sie einstudiert und professionell, wenn auch unorthodox. Und es überraschte sie sehr, dass ihr diese Exkursion irgendwie gefiel. Was auch immer die beiden gelernt hatten, Alicia wollte es auch können.
„So versichert man sich gegen unliebsame Überraschungen“, meinte Silver zufrieden und musterte dann nachdenklich die drei Bewusstlosen. „Noch mehr Mafiosi.“
„Zu Schade, dass diese Arschlöcher nicht in unser Raster fallen.“ Rhino schüttelte den Kopf. „Wenn Angel City immer noch so mafiaversucht ist wie früher…“
„Ist es“, unterbrach Alicia ihn. Ihre Stimme klang ein wenig kehlig, da sie schon lange nichts mehr gesagt und wohl zwischendurch das Schlucken vergessen hatte.
„War ja zu erwarten. Und trotzdem, leider nicht unsere Aufgabe. Schauen wir uns mal oben um.“
Silver nickte zustimmend. Die Treppe führte zu einem kahlen Raum, in dem es nichts außer einer weiteren Tür gab. Keine Geräusche drangen daraus hervor und ein Schlüsselloch, durch das man hätte spähen können, gab es auch nicht. Lediglich ein süßlicher und zugleich widerlicher Geruch lag in der Luft, den Alicia jedoch nicht einordnen konnte.
Nach einem stummen Seufzer legte Silver seine linke Hand auf den Knauf und die rechte auf den Griff seines Schwertes, während Rhino das hervorholte, was er unter seinem Mantel verbarg. Das Gewehr, das er nun in Händen hielt, erinnerte Alicia vage an eine Schrotflinte, wie man sie in Filmen über schießwütige Hinterwäldler oft sah, allerdings war dieses Exemplar schwarz und wirkte ziemlich modern. Dann war es wohl an der Zeit, die Beretta zu zücken, die Silver ihr überlassen hatte und sich, wie Rhino, so gut es ging außerhalb eines potentiellen Schussfeldes zu bringen.
Das Öffnen der Tür wurde nicht mit sofortigem Feuer begrüßt, lediglich der Geruch wurde sehr viel stärker und ein flackerndes Licht breitete sich aus. Alicia blickten in den Raum und ihr stockte der Atem, sie erstarrte regelrecht.
An der hinteren Wand befand sich etwas, das vage an einen Altar erinnerte, gesäumt von zwei großen, offenen Feuerstellen, die für das flackernde Licht verantwortlich waren. Davor saß ein Junge, gerade einmal vierzehn oder fünfzehn. Er war äußerst gutaussehend, hatte langes, schlohweißes Haar und marmorweiße Haut. Er trug lediglich eine weiße Leinenhose, die sich von seiner Hautfarbe kaum absonderte, sodass er wirkte, als sei er vollständig ausgebleicht. Lediglich an seinen nackten Füßen und Händen klebte Blut, das einen starken Kontrast zum Rest bildete. In der Mitte des Raumes stand die Quelle des merkwürdigen Geruchs: Eine altmodische Badewanne in der – Alicia spürte, wie ihr die Galle hochkam – Blut und Gedärme schwammen. Mit jedem Moment schien der Geruch stärker und unerträglicher zu werden, jetzt, da sie wusste, wo er herkam. Erst im Nachhinein fielen ihr die beiden Kadaver in den Ecken des Raumes auf, die fachgerecht ausgeweidet worden waren, vermutlich von dem Jungen. Ein Blick zu Silver und Rhino offenbarte, dass auch die beiden geschockt waren, was sie ungemein beruhigte.
Der Junge kicherte amüsiert. „Ich habe euch kommen sehen.“
Wie er das wohl gemacht hatte? Dieser Raum hatte keine Fenster.
„Dummes Mädchen“, sagte er nun direkt an Alicia gewandt. „Ich brauche keine Augen, um dich zu sehen.“
Sie war eindeutig älter als er. Und woher wusste dieses Balg, was sie dachte?
„Rede nicht mit ihm“, flüsterte Silver ihr zu. „Was immer das auch ist, es ist ganz sicher kein Junge.“
„Kluger Rat“, sagte der Junge, dieses Mal an Silver gewandt. „Du riechst interessant. Ich glaube, du wirst meine Mahlzeit. Die anderen füllen die Organgrube, um die Meister zu beschwichtigen.“ Plötzlich sah er traurig aus. „Es ist nur ein jämmerlicher Ersatz, aber es muss genügen, bis die Herrin angekommen ist. Ihr werdet das natürlich nicht mehr erleben.“
Erst jetzt fiel Alicia auf, dass sie sich nicht bewegen konnte. Rhino schien ebenfalls höchst schockiert festzustellen, dass er nicht in der Lage war, einen Finger zu rühren. Silver dagegen begann sich zu bewegen, schwerfällig, aber er bewegte sich.
Das schien den Jungen aus dem Konzept zu bringen. Er schaute Silver schockiert an, stand langsam auf und dann…bewegte er sich beinahe schneller, als Alicia erkennen konnte, warf Silver, bleckte Fangzähne und rammte sie in den Hals des Jägers.
Also doch Vampire, dachte Alicia. Ich wusste es!
Blut sprudelte, Silver ächzte auf, ließ die Prozedur jedoch nicht lange mit sich machen. Irgendwie schaffte er es, den Jungen zu packen und von sich zu werfen. Er hatte nun kaum mehr etwas Menschliches an sich, denn wie ein wildes Tier krallte er sich an die Decke und fauchte. Seine Augen glommen nun rot.
Silver presste eine Hand auf die blutende Wunde und zog mit der anderen sein Schwert. Der Vampir sprang ihn erneut an und erwies sich dabei als zu agil und schnell für Silver. Obwohl der Junge nur mit Händen und Füßen kämpfte, steckte Silver Treffer um Treffer ein.
War sie nun verdammt, dem Kampf tatenlos zuzusehen, bis der Vampir Silver getötet hatte und sich ihr zuwendete? Nein. Sie konnte ihre Finger wieder bewegen. Sie ballte sie zur Faust, streckte sie wieder aus. Da musste noch mehr gehen. Vorsichtig versuchte sie, den Fuß anzuheben. Es war, als hingen Gewichte an ihren Schuhen, doch es war machbar. Langsam, ganz langsam testete sie jeden Muskel aus. Sie hob die Waffe, in unerträglicher, erzwungener Zeitlupe, erwischte einen günstigen Winkel und schoss. Die Kugel traf aus nächster Nähe den Hinterkopf des Jungen. Blut spritzte, doch er brach nicht bewusstlos oder tot zusammen, wie Alicia das erwartet hatte. Sie konnte sich zwar nun wieder normal bewegen, doch die Aufmerksamkeit des bleichen Monstrums galt nun ihr. Der Junge fauchte und wollte sich auf sie stürzen, doch Alicia leerte ihr Magazin in ihn. Jeder Schuss trieb ihn weiter zurück, und kurz darauf half ihr Rhino, bis der Vampir nur noch aus einer einzigen Wunde zu bestehen schien und röchelnd auf dem Boden verschied.
Sofort kümmerten sich die beiden um Silver, der sehr viel Blut verloren hatte und auch sonst nicht in der besten Verfassung war. Er musste dringend in ein Krankenhaus. Zu zweit packten sie ihn und zogen ihn hoch, um ihn von hier wegzuschaffen. Allerdings war er immer noch bei Bewusstsein und brachte sogar ein Lächeln zustande.
„Du bist eingestellt“, flüsterte er ihr zu. „Leute wie dich können wir gebrauchen.“

***

Der Junge schlug die Augen auf. Jedes Körperteil schmerzte fürchterlich, aber das war zu ertragen. Sie hatten ihm sein Unleben gelassen. Törichte Narren. Sie hätten dieses hässliche asiatische Schwert nehmen und ihn damit in kleine Stücke schneiden sollen. Nun ja, die Dummheit seiner Feinde war sein Vorteil. Man sollte doch meinen, dass die Sterblichen irgendwann dazulernten, aber das taten sie nie. Die aktuelle Operation war natürlich gescheitert, aber er hatte etwas viel besseres gewonnen, um dieses Versagen zu kompensieren. Er hatte das Blut dieses Jägers gekostet. Was für ein Saft. Der Jäger war kein gewöhnlicher Sterblicher. Er schmeckte fast wie ein Ghul, allerdings war da diese spezielle Nuance… Einem gewöhnlichen Kainiten wäre dies niemals aufgefallen, doch er war kein gewöhnlicher Kainit. Dieser Jäger war etwas ganz besonderes. Die Herrin würde erfreut sein…

Verfasst von Hemator, nach einer Idee von Jarik.

Die Anderen

„The night is dark and full of terrors.“
– Melisandre in der Game-of-Thrones-Episode „Garden of Bones“

Die Welt der Dunkelheit ist voll von übernatürlichen Kreaturen, Vampire sind da nur die Spitze des Eisbergs. Allerdings wissen die meisten Gruppen übernatürlicher Wesen nicht allzu viel von den jeweils anderen. Fakt ist: Die Welt ist ein gefährlicher Ort, sogar für einen Vampir, und selbst abseits der allnächtlichen Clans- und Sektenkriege gibt vieles, das die Kinder Kains zu Recht fürchten.

Werwölfe
Werwölfe, auch Wolflinge genannt, sind die Erzfeinde der Vampire. Keiner weiß mehr genau, wann dieser Konflikt begonnen hat, klar ist nur, dass ein Werwolf, wenn er einen Vampir sieht, diesen sofort angreifen wird. Sollte dies der Fall sein, gibt es eigentlich nur eines, was ein Vampir tun kann: Die Beine in die Hand nehmen. Im direkten Kampf Wolfling gegen Kainskind zieht Letzteres fast immer den Kürzeren, selbst Ahnen können es nur schwer mit den rasenden Bestien aufnehmen. Doch zum Glück sind Werwölfe nicht unbedingt eine allnächtliche Gefahr: Sie bevorzugen die freien Lande, die dichten Wälder und kommen selten in Städte, während Vampire sich hauptsächlich in urbanen Gebieten aufhalten, schon alleine, weil dort die Herde viel größer ist (und natürlich weil dort seltener Werwölfe sind).
Dennoch kommt es immer wieder vor, dass Werwölfe in die Zivilisation einfallen und Vampire gezielt angreifen. Ein gerne herangezogenes Beispiel ist der Succubus-Club in Chicago, ein weithin bekanntes Vampir-Etablissement, das von den Wolflingen völlig zerstört wurde.
Vampire wissen über die Kultur der Werwölfe sehr wenig und es interessiert sie auch nicht, solange die Wolflinge ihnen nur fern bleiben. Allgemein bekannt ist, dass Werwölfe sowohl als Menschen, als auch als Wölfe, als auch als gigantische, rasende, drei Meter große Mischwesen auftreten können – diese Gestalt wählen sie für gewöhnlich, wenn sie mit Vampiren zu tun haben. In dieser Gestalt sind sie unglaublich schnell, extrem stark, haben mächtige Zähne und Klauen und können nur durch Silber und manche Disziplinen verletzt werden; alle anderen Wunden heilen sehr schnell.

Magi und Zauberer
Nicht nur die Kainskinder können Magie wirken, Menschen sind dazu ebenfalls in der Lage. Dabei kann man grob zwei Richtungen unterscheiden. Einerseits gibt es Zauberer (auch Traditionsmagier genannt), deren Magie sich nicht sehr von der der Kainskinder unterscheidet (außer, dass sie nicht auf Vampirblut basiert): Sie arbeiten mit festen Ritualen, Zaubersprüchen, Gegenständen etc. und sind vampirischen Zauberern wie den Tremere meistens unterlegen – immerhin haben diese weitaus mehr Zeit, ihre Künste zu erforschen.
Die Magi (Singular: Magus) sind allerdings von einem ganz anderen Kaliber. Kainskinder tun sich sehr schwer damit, die sogenannten „Erwachten“ und ihre Magick zu verstehen. Um es grob zu vereinfachen: Ein Magus kann die Realität verändern und somit Dinge weitab von festgefahrenen Ritualen bewirken, theoretisch kann er einfach alles tun. Natürlich hat die ganze Sache einen Haken: Wenn ein Zauberspruch zu abartig ist, schlägt die Realität zurück. Dieses Phänomen wird als „Paradox“ bezeichnet und kann alles Mögliche auslösen: Im besten Fall wird Milch sauer, im schlimmsten Fall explodiert der Körper des Magus.
Magick kann darüber hinaus jedwede Form annehmen, von traditionellem Schleudern von Feuerbällen bis hin zu futuristischer Technologie. Gewöhnlich interessieren sich die Magi nicht sonderlich für Vampire, allerdings kann es hin und wieder passieren, dass sie sich in die Quere kommen. Darüber hinaus stellen die Tremere einen Sonderfall dar. Im Mittelalter waren sie sterbliche Magi, die dem Orden des Hermes angehörten, einer Magick praktizierenden Gemeinschaft. Als die Tremere zu Kainskindern wurden, betrachteten die anderen Häuser des Ordens dies als Verrat und führten viele Jahrhunderte lang Krieg gegen die Hexenmeister. Inzwischen wurde dieser Krieg beendet, allerdings können Mitglieder des Ordens des Hermes und Tremere sich immer noch nicht ausstehen.

Feen
Feen und Vampire treffen sich sehr selten und selbst wenn ist es gut möglich, dass die Ersteren nicht erkannt werden.
Feen sind mysteriöse magische Wesen, über die die Vampire noch weniger wissen als über Magi und Werwölfe. Sie verfügen oftmals über sehr starke magische Fähigkeiten und können in den verschiedensten Gestalten auftreten, auch wenn sie nicht (mehr) als kleine geflügelte Kreaturen oder Baumgeister zu sehen sind. Meistens tarnen sie sich als Menschen, allerdings ist es mit Auspex möglich, diese Verkleidung zu durchschauen.
Manchen Kainiten, insbesondere Ravnos, Malkavianern und Tremere, wird nachgesagt, sie suchten nach Feen, da deren Blut besondere Eigenschaften habe. Auch wird behauptet, an der Entstehung der Kyasid, einer Blutlinie des Sabbat, wären Feen beteiligt gewesen.
Doch letztendlich haben die wenigsten Vampire jemals eine Fee gesehen und beschäftigen sich auch nicht groß mit ihnen.

Geister
Geister, Phantome und rastlose Seelen sind keine Seltenheit. Oftmals kehren die Geister der Verstorbenen aus dem Reich der Toten zurück und binden sich an die Lebenden, die sie früher kannten oder Objekte, die ihnen wichtig waren. Spukhäuser, Geistererscheinungen – viele der Geschichten, die man liest und als Unsinn abtut, sind wahr. Geister sind auf Emotionen angewiesen und nähren sich von ihnen, wie Vampire es mit Blut tun. Auch sind sie in der Lage, von Sterblichen Besitz zu ergreifen, um Kainiten attackieren zu können.
Der Clan der Giovanni besteht aus Nekromanten und versteht sich darauf, mit Geistern zu arbeiten, diese zu rufen, als Spione einzusetzen und in grimmige Todesalben zu verwandeln, um sie als Waffen zu gebrauchen. Wenn ein Kainskind von einem Todesalben angegriffen wird, ist es gut möglich, dass ein Gioavnni dahinter steckt.

Cathayer
Die Cathayer, die sich selbst Kuei-jin nennen, sind die sogenannten östlichen Vampire, allerdings sind sie keine Kinder Kains. Den westlichen Vampiren ist es nie wirklich gelungen, in Ostasien Fuß zu fassen. Der Grund dafür sind die Cathayer, welche die Kainiten als mindere Untote ansehen und bekämpfen, wenn sie in ihre Domänen kommen.
Die Cathayer verfügen über seltsame Kräfte und Bräuche, die die Kainskinder nicht verstehen und sind äußerst gefährlich. Es heißt, in Indien würden die Ravnos mit den Kuei-jin ringen, doch die Vampire Europas und Amerikas haben sehr selten mit ihnen zu tun. Zumindest bis jetzt…

Engel, Dämonen, Mumien, Gestaltwandler…
Sie existieren. Aber im Gegensatz zu den oben genannten treffen sie fast nie mit den Kindern Kains zusammen. Die Vampire interessieren sich für gewöhnlich nicht für diese Übernatürlichen, warum auch? Sie haben schon genug Probleme mit sich selbst, warum sollte man da seine Zeit damit vergeuden, nach Engeln oder Dämonen zu suchen, die vermutliche weitaus stärker sind als man selbst?

Verfasst von Hemator.

Über persönlichen Horror

„Doch die wahre Macht,
Die uns regiert,
Ist die schändliche,
Unendliche,
Verzehrende,
Zerstörende
Und ewig unstillbare Gier.“
– Graf von Krolock in „Tanz der Vampire“

Vor dem Hintergrund vor „Vampire: The Masquerade“ lässt sich jede erdenkliche Vampirgeschichte erzählen, von der Vampir-Mensch-Romanze über „Der Vampir als Monster“ bis hin zu Action oder politischen Intrigen. Doch was ist der Kern. Im Grundregelwerk wird V:tM als „Spiel um persönlichen Horror“ angepriesen, doch was ist dieser persönliche Horror?
Die Welt der Dunkelheit ist bekanntlich voller Schrecken und Gefahren, selbst für einen Vampir. Außerhalb der Städte lauern Werwölfe und noch schlimmere Kreaturen, mächtige Vampire aus verfeindeten Clans und Sekten kämpfen einander allnächtlich und ein kleiner Funke reicht aus, um die Feuer der Inquisition erneut anzufachen. Und dennoch, der schlimmste Feind eines jeden Vampirs ist er selbst. Im Inneren jedes Vampirs gibt es das Tier, das stets nach Blut dürstet, denn im Kern ist jeder Vampir ein blutdurstiger Jäger. Das Tier veranlasst den Vampir letztendlich dazu, immer weiter zu degenerieren, je mehr er sich seinen Gelüsten hingibt. Mit jeder Untat und Grausamkeit, die ein Vampir begeht, verliert er etwas von seiner Menschlichkeit. Ein Vampir, der seine Menschlichkeit zur Gänze verloren hat, verkommt zu einem hirnlosen Raubtier, das nur noch isst, schläft und tötet und letztendlich früher oder später vernichtet wird, entweder von Werwölfen, menschlichen Jägern oder anderen Vampiren, die einen Maskeradebruch befürchten. Dieser Kampf um Menschlichkeit, der Konflikt zwischen Verstand und Tier, ist der Kern von „Vampire: The Masquerade, die eignen dunklen Triebe, die die Kontrolle übernehmen sind der Inbegriff des persönlichen Horrors.
Die Kinder Kains benötigen einen Anker, um die Jahrhunderte und Jahrtausende überstehen zu können. Für die meisten ist dies Menschlichkeit. Ein Vampir, der sich auch in seinem untoten Zustand an den moralischen Vorstellungen orientiert, die in der menschlichen Gesellschaft wirksam sind, hat sehr viel größere Chancen, geistig gesund zu bleiben als ein Vampir, der sich den Verlockungen des Tiers hingibt. Selbst die Vampire, die scheinbar völlig unmenschlich sind, etwa die Jünger des Set, die Tzimisce oder viele Sabbat-Vampire aus allen möglichen Clans, haben einen ethischen Kodex und Moralvorstellungen. Diese werden als „Pfade der Erleuchtung“ bezeichnet und entsprechen freilich nicht menschlicher Moral. Diese ethischen Verhaltensregeln mögen Menschen fremd und erschreckend vorkommen, aber sie funktionieren und halten das Tier zurück.
Im Rollenspiel gibt es eine Moralitätsskala, die bis 10 geht. Die „Standardmoralität“ ist Menschlichkeit, der normale Startwert ist 7; dieser Startwert spiegelt den „normalen Menschen“ wieder: Er würde niemals einen Mord begehen oder Schlimmeres, er versucht, gut zu sein, nicht zu stehlen, aber es kann schon vorkommen, dass er mal vergisst, ein Buch zurückzugeben oder das Geschwindigkeitslimit überschreitet. Ein Charakter, der einen Menschlichkeitswert von 8-10, ist menschlicher als ein Mensch und hat einen unverrückbaren Moralkodex. Solch ein Charakter ist fast schon zu gut (und zu langweilig) um ihn zu spielen.
Charaktere, deren Menschlichkeitswert 6 oder 5 beträgt, sind meistens ein wenig pragmatischer eingestellt. Sie werden versuchen, Kollateralschäden zu vermeiden, aber wer sie angreift ist selbst schuld. Für das größere Wohl müssen eben manchmal Opfer gebracht werden. Je weiter der Menschlichkeitswert sinkt, desto akzeptabler werden immer schlimmere Verbrechen. Ein Charakter, dessen Menschlichkeit auf 1 gesunken ist, hat kaum mehr etwas Menschliches an sich, er hat Schwierigkeiten, sich auszudrücken oder menschliche Gefühle nachzuvollziehen und tut, was er will, ohne jede Rücksicht. Sinkt der Menschlichkeitswert auf 0 übernimmt das Tier die Kontrolle, ein solcher Vampir ist nur noch eine wilde Bestie ohne Verstand. Essen, Schlafen und Töten ist alles, was er kann.
Der Menschlichkeitswert hat einige direkte Auswirkungen im Rollenspiel: Je niedriger die Menschlichkeit ist, desto länger und tiefer schläft ein Vampir und sie beeinflusst auch das Aussehen. Viel interessanter wird es aber, wenn man die Menschlichkeit nicht nur als weitere Punktskala versteht, sondern im Rollenspiel mit ihr arbeitet. Das langsame Abrutschen und Degenerieren eines Vampirs kann enorm spannend sein, der innere Kampf interessanter als jeder Kampf gegen äußere Feinde. Und genau deshalb ist dieser Kampf laut White Wolf der Kern des Rollenspiels. Und wie das gesamte Setting kann sich auch dieser Kampf auf die verschiedensten Arten manifestieren.

Verfasst von Hemator.

Die Ravnos

ravnos

Like a bat out of hell
I’ll be gone when the morning comes.
When the night is over
Like a bat out of hell I’ll be gone gone gone.
Like a bat out of hell I’ll be gone when the morning comes.
But when the day is done
And the sun goes down
And moonlight’s shining through…
Then like a sinner before the gates of heaven
I’ll come crawling on back to you.

– Meat Loaf, Bat out of Hell

Spitzname: Scharlatane
Disziplinen: Schimären, Stärke, Tierhaftigkeit
Allgemeines und Geschichte:
Kaum ein Clan ist gleichzeitig so verhasst und so missverstanden wie die Ravnos. Die meisten Mitglieder dieses Clans (zumindest diejenigen, die man in Europa und Amerika zu sehen bekommt) stammen von Zigeunern (hauptsächlich Roma) ab, sind einzelgängerisch veranlagt und betätigen sich als Trickbetrüger und Kleinkriminelle. Sie sind besonders dafür bekannt, dass sie die Tradition der Gastfreundschaft nicht besonders schätzen – zum Ärger vieler Prinzen, die Ordnung in ihrer Domäne haben wollen und zum noch größeren Ärger vieler Tzimisce, denen die private Zuflucht etwas Heiliges ist.
Obwohl es sicher nicht fair ist, ist es dennoch halbwegs verständlich, dass sich die meisten Kainskinder nicht groß mit den Ravnos befassen können und wollen – solange sich die Scharlatane von ihnen fern halten, sind sie zufrieden.
Natürlich sieht die Situation ganz anders aus, wenn man sich in die Heimat des Clans begibt. Wie auch die Assamiten sind die Ravnos weitaus vielschichtiger, als man gemeinhin annimmt. In Indien, ihrer Heimat, sind sie der vorherrschende Clan, gelten fast schon als dämonische Wesen und haben ihren ganz eigenen reichen Ursprungsmythos in Form des epischen Gedichts Karavalanisha Vrana, dass von den Vampiren als einer Art gefallene Engel (nicht im christlichen Sinn) berichtet. Auch hat sich der Clan, ähnlich den Assamiten, in eine Art Kasten- bzw. Familiensystem (so genannte jati) unterteilt.
Während die Ravnos, die im Mittelalter mit den Roma nach Europa wanderten, sich sehr schnell den Ruf aufbauten, den sie auch heute noch besitzen, fochten ihre östliche Verwandten einen Jahrhunderte oder gar Jahrtausende dauernden Krieg gegen die mysteriösen Cathayer, die zwar ebenfalls untote sind und oft (aber nicht immer) Blut trinken, aber mit den Kainskindern nicht mehr als oberflächliche Gemeinsamkeiten teilen. Doch unter den westlichen Ravnos gehen Gerüchte um, dass der Krieg schlecht liefe und dass nun die uralten Ahnen des Clans erwachten und manche Ravnos meinen, sie hätten einen telepathischen Ruf erhalten. Wie auch immer man es dreht und wendet, dass Erwachen uralter und mächtiger „Dämonenkönige“ ist mit Sicherheit nichts, worüber sich Ravnos oder Kainiten anderer Clans freuen würden.

Sekte:
Der Freiheitstrieb der Ravnos sorgt dafür, dass sie sich keiner Fraktion verpflichtet fühlen. Die Scharlatane drehen lieber ihr eigenes Ding, sowohl die Regeln und die rigide Struktur der Camarilla als auch die monströsen Ausschweifungen des Sabbat schrecken sie eher ab.

Clansschwäche:
Aufgrund der „kriminellen Natur“ des Clans hat jeder Ravnos ein bestimmtes Verbrechen, nachdem er süchtig ist. Das können unter anderem Glückspiel, Diebstahl, Lüge oder sogar Mord sein. Immer wenn ein Ravnos die Gelegenheit bekommt, seiner Sucht zu frönen, muss er sich sehr stark anstrengen, um diesem Verlangen nicht nachzugeben

Struktur:
Die Ravnos besitzen nicht wirklich so etwas wie eine übergeordnete Organisation; viele von ihnen sind, insbesondere in Amerika und Europa, alleine unterwegs. Am ehesten organisieren sie sich noch in Familienverbänden, umherziehenden Zigeunern ähnlich, oder schließen sich für einen großen Coup zusammen. Allerdings vertrauen die meisten Ravnos nicht einmal ihren eigenen Clansgenossen.

Erscheinung und Hintergrund:
Die meisten Ravnos, die man im westlichen Kulturkreis antrifft, gehören zu einem Zigeunerstamm und sehen meistens auch dementsprechend aus. Europäische Ravnos lehnen es gar zum Großteil ab, nicht-Zigeuner in ihren Rängen aufzunehmen. Die östlichen Ravnos sind meistens indischen Ursprungs, auch wenn diese sich eher selten in Europa oder Amerika aufhalten.

Stärke und Einfluss:
Es gibt kaum Ravnos, die sich in die Sektenpolitik einmischen, ergo gibt es auch nicht viele Ravnos, die bei Camarilla, Sabbat oder Anarchen Einfluss besäßen. Es ist nicht so, dass es nicht Ausnahmen gäbe, die sich doch einer Fraktion angeschlossen haben, aber der Großteil des Clans bevorzugt es, unabhängig zu sein, denn darin liegt auch ihre Stärke. Sollten sich ein Ravnos einen Feind machen (was ziemlich oft vorkommt), ist natürlich die einzigartige Clansdisziplin Schmiären, mit der die Ravnos Illusionen erzeugen können, sehr nützlich.

Anliegen:
Das genaue Anliegen wechselt meist von Individuum zu Individuum und beinhaltet oftmals die eine oder andere Gaunerei. Wenn man von so etwas wie einem übergeordneten Anliegen des Clans sprechen könnte, dann wäre es wohl, genau diesen Zustand beizubehalten.
In Indien sieht die Situation freilich ein wenig anders aus, denn das Hauptanliegen des Clans dort ist es in erster Linie gegen die Cathayer zu siegen – oder zumindest zu überleben.

Blutlinien:
Es gibt mehrere Familien bei den Ravnos (ähnlich den Familien der Giovanni oder den Tzimisce-Wiedergängern), von denen manche ihren Vorzug auf andere Disziplinen legen. Die Phuri Dae beispielsweise bevorzugen Auspex statt Stärke. Die meisten westlichen Kainskinder wissen allerdings nichts von derartigen Differenzierungen und es interessiert sie auch nicht.
Einige Ravnos haben sich dem Sabbat angeschlossen und eine antitribu-Linie gebildet.

Wappen:
LogoClanRavnos

 

 

 

 

 

 

 

 

Verfasst von Hemator.

Die Jünger des Set

setite

„We have such sights to show you.“
– Pinhead in „Hellraiser“

Spitzname: Schlangen
Disziplinen: Präsenz, Serpentis, Verdunkelung
Allgemeines und Geschichte:
Unter den Clans der Kainskinder haben die Jünger des Set eine ganz besondere Stellung. Sie führen sich nicht einfach nur auf einen Enkel Kains zurück, sondern sind der Meinung, vom finstersten der ägyptischen Götter selbst abzustammen und der älteste aller Vampirclans zu sein (etwas, das Historiker und Nodisten anderer Clans vehement bestreiten).
Egal, ob man nun glaubt, dass Set und sein ewiger Widersacher Osiris wirklich Götter oder doch Vampire waren, die Setiten sind davon überzeugt, dass ihr Herr und Meister eines Tages wiederkommen wird, um über die Welt zu herrschen. Und natürlich wollen die Setiten dabei an seiner Seite sein.
Um Set bei seinem langsamen, aber stetigen Aufstieg zu helfen, korrumpieren die Setiten, was das Zeug hält. Um Sterbliche und Kainskinder gleichermaßen in ihren Bann zu ziehen, sind die Jünger des Set zu Meistern der Sünde geworden. Egal ob Sex, Drogen, Geld, Macht, okkultes Wissen oder mächtige Vitae – die Schlangen nutzen alles, was andere begehren.
Schon seit vielen Jahrtausenden beschäftigen sich die Jünger des Set mit der Verführung, auch wenn sie in Europa nie eine wirklich große Machtbasis errichten konnten und dort meistens nur vereinzelt auftraten.
Dafür gelang es ihnen aber, in Afrika und dem Nahen Osten zu einem der stärksten Clans zu werden. Besonders in Ägypten waren die Setiten seit jeher stark vertreten, und in früheren Nächten nahmen sie auch ausschließlich Ägypter in ihre Ränge auf. Mit der Zeit wurden sie allerdings um einiges pragmatischer.
Die Entdeckung der Neuen Welt eröffnete den Setiten auch viele neue Möglichkeiten. Zwar hatten sie es in Nordamerika zu Beginn nicht leicht – zu stark tobte hier der Krieg zwischen Camarilla und Sabbat – doch in Südamerika und auf den karibischen Inseln gewannen die Schlangen in kurzer Zeit viel Einfluss.
In den Modernen Nächten, in denen die Moral ab- und die Lasterhaftigkeit enorm zugenommen hat, sind die Setiten gefragter denn je. Die modernen Großstädte mit ihren Elendsvierteln und ihrem gelangweilten Geldadel schreien geradezu nach der Verführung und der Sünde, die die Setiten anzubieten haben, und diese gewähren sie bereitwillig.
Die Jünger betrachten die Letzten Nächte und die Anzeichen Gehennas, die angeblich immer häufiger werden, als Symbole dafür, dass Sets Rückkehr nun unmittelbar bevorsteht.

Sekte:
Ähnlich wie die Giovanni sind die Jünger des Set Kriegsgewinnler: Wer auf keiner Seite steht, kann von beiden profitieren. Und ebenso wie die Giovanni haben auch die Jünger des Set ihre ganz eigenen Ziele, die sich mit den Ansichten der Camarilla und des Sabbat nicht sonderlich gut vertragen.

Clansschwäche:
Die Setiten, die sich auf die älteste aller Dunkelheiten zurückführen, haben mit Licht im Allgemeinen und Sonnenlicht im Besonderen große Probleme. Selbst gewöhnliches Licht kann sie sehr verwirren, weshalb Jünger des Set auch öfter Sonnenbrillen tragen. In der Sonne verbrennen sie noch schneller als alle anderen Kainskinder.

Struktur:
Oft, insbesondere, wenn in einer Stadt nur ein oder zwei Setiten unleben, agieren diese meist wie „normale“ Vampire, sprich: Sie halten ihre Herden, besitzen vielleicht einen Club, sammeln Einfluss und können auch durchaus mit einem anderen Clansmitglied aneinander geraten – die Setiten glauben an einen gesunden Konkurrenzkampf untereinander. In Städten, in denen es viele Setiten gibt, haben die Schlangen meistens einen Tempel, der eine ähnliche Funktion erfüllt wie die Gildehäuser der Tremere.
Im Clan als Ganzem geht die Hierarchie nach Alter. Man munkelt, dass es irgendwo in Afrika einen großen Tempel des Set gibt, in dem der Dunkle Hierophant, Sets erstes und ältestes Kind, über das Schicksal des Clans entscheidet.

Erscheinung und Hintergrund:
Viele, vor allem ältere Setiten, sind oft von ägyptischer oder nahöstlicher Abstammung, obwohl inzwischen auch durchaus Europäer und Amerikaner darunter sein können. Rote Haare zum Beispiel halten die Jünger des Set für ein gutes Zeichen. Was die Kleidung angeht, sind die Setiten meist sehr variabel, obwohl sie sich gerne gut anziehen. Das eine oder andere Anzeichen ihrer Schlangenfixierung darf natürlich nicht fehlen.
Potentielle Kandidaten für den Kuss werden meistens aufgrund ihrer Durchtriebenheit und manipulativen Fähigkeiten ausgewählt. Auch Kundige des Okkultismus werden gerne gesehen.

Stärke und Einfluss:
Die Setiten können buchstäbliches alles beschaffen und jedes Laster befriedigen – solange der Preis stimmt. Da der Clan neutral ist, kann er sowohl mit der Camarilla als auch mit dem Sabbat gut Geschäfte machen. Der wahre Einfluss der Setiten offenbart sich allerdings erst dann, wenn sie es geschafft haben, jemanden von sich vollkommen abhängig zu machen.

Anliegen:
Die Setiten wollen zwei Dinge, wobei das eine das Mittel zum Zweck ist, um das andere zu erreichen. Die Schlangen korrumpieren, wo und wie sie nur können. Dadurch, so glauben sie, könnten sie früher oder später ihren Gott und Vorsintflutlichen Set wiedererwecken, auf dass er sie in ein neues, düsteres Zeitalter führt. Die meisten Kainskinder der anderen Clans verstehen nicht, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, und die Setiten lassen sich nur sehr selten dazu herab, es Ungläubigen zu erklären.

Blutlinien:
Die Setiten haben viele Blutlinien bzw. Untergruppierungen, die verschiedene Aspekte Sets verehren oder lokale Gruppierungen bilden, wie etwa die Tlacique in Südamerika. Es gibt auch eine Gruppe von Setiten, die sich dem Sabbat angeschlossen haben, die Schlangen des Lichts. Diese werden von ihrem Stammclan allerdings als Ketzer angesehen.

Wappen:
LogoClanFollowersofSet

 

 

 

 

 

 

 

 

Verfasst von Hemator.

Die Giovanni

giovanni

„Your mother’s dead, before long I’ll be dead, and you…and your brother and your sister and all of her children. All of us dead, all of us rotting in the ground. It’s the family name that lives on. It’s all that lives on. Not your honor, not your personal glory, family.“
– Tywin Lannister in der Game-of-Thrones-Episode „You Win or You Die“

Spitzname: Nekromanten
Disziplinen: Beherrschung, Nekromantie, Stärke
Allgemeines und Geschichte:
Die Giovanni treten für gewöhnlich höflich, gebildet und charmant auf, doch hinter dieser Fassade tun sich im wahrsten Sinne des Wortes Abgründe auf. Die Giovanni sind sowohl Clan als auch Familie (und das ist wörtlich zu verstehen) und sind der jüngste der vollwertigen Clans.
Ursprünglich waren die Giovanni eine sterbliche Familie von reichen Kaufleuten und Nekomanten, auf die um das Jahr 1000 nach Christus herum der Vorsintflutliche des inzwischen ausgelöschten Clans der Kappadozianer aufmerksam wurde. Dieser Clansgründer, oft Kappadozius genannt, interessierte sich sehr für die magischen Künste der Giovanni-Familie und schenkte ihrem Anführer, Augustus Giovanni, schließlich den Kuss. Dieser widerrum gab ihn an viele Familienmitglieder weiter.
Aber das bloße Kainitentum reichte Augustus noch nicht aus. Es ist klar, dass er im Jahr 1444 seinen Erzeuger diablerierte, eine Hetzjagd auf alle Kappadozianer ausrief, die nicht zu den Giovanni gehörten und, da er nun der dritten Generation angehörte, seinen eigenen Clan, die Giovanni gründete.
Die genauen Umstände dieser Tat sind allerdings kaum jemandem bekannt; die Giovanni behaupten steif und fest, Kappadozius sei dem Wahnsinn verfallen und hätte beschlossen, Gott zu diablerieren und wäre diesem Ziel bereits erstaunlich nahe gekommen. Augustus habe dieses Vorhaben lediglich verhindern wollen und wäre gezwungen gewesen, den ganzen, vom Wahnsinn befallenen Clan seines Erzeugers auszulöschen. Wie viel an dieser Geschichte dran ist, ist allerdings fragwürdig.
Bald, nachdem die Giovanni den Status des vollwertigen Clans inne hatten, schlossen sie ein Bündnis mit der neugegründeten Camarilla, in dem sie sich gegenseitig versicherten, dass sie sich in die Angelegenheiten des jeweils anderen nicht ungefragt einmischen würden.
Über die Jahrhunderte hinweg erlangten die Giovanni immer mehr Macht und Reichtum und gehören heutzutage zu den reichsten Familien der Welt, sowohl was Geld als auch Einfluss angeht. Lediglich die Ventrue können in diesem Bereich mit ihnen konkurrieren.
Allgemein kann man sagen, dass die Giovanni in so ziemlich jedem Geschäft ihre Finger im Spiel haben, vor allem in den illegalen. So manch einen mögen die Giovanni an die Mafia erinnern – und in der Tat waren sie gewissermaßen das Vorbild für die großen Verbrechersyndikate.
Das besondere beim Clan Giovanni ist, dass sie, wie oben bereits erwähnt, alle zu einer Familie gehören. Selbst die Familienmitglieder, die keine Kainskinder sind, dienen oftmals als Ghule oder wissen zumindest ein wenig von den Hintergründen. Das hat gewisse Vorteile, aber auch einige Nachteile. Bei den Giovanni tritt zum Beispiel oft Inzest auf, da das Blut der Familie „rein“ gehalten werden muss. Darüber hinaus sind die Giovanni auch anderweitig anfällig für alle Arten von Lastern und Perversionen.

Sekte:
Die Giovanni sind nicht einfach nur unabhängig, sie sind sowohl in der Camarilla als auch im Sabbat geradezu unerwünscht; bei Letzterem, weil sie einen aktiven Vorsintflutlichen in ihren Reihen haben, während sie mit Ersterer so etwas wie einen Nichteinmischungspakt geschlossen haben: Die Giovanni halten sich aus dem Dschihad heraus, dafür hält sich die Camarilla aus den Angelegenheiten der Giovannis heraus.

Clansschwäche:
Im Gegensatz zu anderen Kainskindern ist der Biss eines Giovanni keinesfalls angenehm oder ekstatisch, im Gegenteil. Es kommt oft vor, dass ein menschliches Opfer den Biss eines Giovanni nicht überlebt und an den Schmerzen stirbt, was dazu führt, dass die Giovanni sich oftmals von Blutreserven ernähren oder sogar von Toten trinken, was widerrum ihren nekrophilen Ruf verstärkt.

Struktur:
Die Giovanni sind wie eine Familie organisiert – mit Augustus Giovanni als Patriarch.
In Städten, in denen Giovanni aktiv sind, gilt dieses Großfamilienstruktur gewöhnlich im Kleinen, gewissermaßen mit einem Stellvertreter. Ihr Hauptquartier liegt in Venedig, eine Stadt, die für die Giovanni das darstellt, was für die Tremere Wien ist.

Stärke und Einfluss:
Die Macht der Giovanni lässt sich mit einem Wort genau definieren: Geld. Die Giovanni sind dank ihrer Vergangenheit als Händlerfamilie unglaublich reich. In der Welt kann man mit Geld fast alles kaufen, und die Giovanni haben genug Geld, um sich alles zu kaufen.
Ihre zweite große Stärke liegt in ihrer Neutralität: Da sie sich (zumindest in der Öffentlichkeit) nicht am Dschihad beteiligen, sind sie Kriegsgewinnler: Sie können mit beiden Seiten handeln und den größtmöglichen Profit herausschlagen. Und natürlich bringt auch ihre Nekromantie gewisse taktische Vorteile mit sich.

Anliegen:
Viele Kainskinder glauben, den Giovanni ginge es nur um Geld, aber das ist ein Trugschluss. Geld ist für die Giovanni letztendlich, wie für alle Clans, nur ein Mittel zum Zweck, sie sind in Umgang und Beschaffung lediglich talentierter als andere.
Wer glaubt, dass die nekromantische Forschung das Hauptanliegen der Giovanni ist, kommt der Sache schon näher. Die wenigsten wissen allerdings, was die Giovanni mit ihrer Nekromantie letztendlich vorhaben – und viele wollen es auch gar nicht wissen.

Blutlinien:
Eine wirkliche Blutlinie dieses Clans gibt es nicht. Da die Mitglieder ihrer Familie stets treu sind, gibt es auch keine antitribu-Gruppierung beim Sabbat.
Sollte es noch Kappadozianer geben (was die Giovanni dementieren), könnte man sie wohl als Blutlinie verstehen.
Es gibt allerdings im Clan selbst einige Untergruppen. Bei diesen Untergruppen handelt es sich um Familien, die in den Clan wegen ihrer besonderen Fähigkeiten „integriert“ wurden. Zu diesen „Satelliten-Familien“ gehören zum Beispiel die Pisanob, eine Familie von Hexern aus Mittel- und Südamerika, die Milliners, ein besonders in Nordamerika erfolgreiche Zweig, die Dunsirns, eine Familie schottischer Bankiers mit Hang zum Kannibalismus, sowie einige kleinere Familien wie die della Passaglia, die Rothsteins, die Putanesca, die Ghiberti und die Rosselini.

Wappen:
LogoClanGiovanni

 

 

 

 

 

 

 

Verfasst von Hemator.

Die Assamiten

assamite

„Sprich: Ist einer unter euren Götzen, der ein Geschöpf hervorbringen und es dann zurückkehren lassen kann? Sprich: Gott aber bringt ein Geschöpf hervor und läßt es zurückkehren. Wie könnt ihr euch abwenden?“
– Der Koran, Sure 10, 35


Spitzname:
Assassinen
Disziplinen: Geschwindigkeit, Verdunkelung, Quietus (Krieger); Assamitenhexerei, Quietus, Verdunkelung (Hexer); Auspex, Geschwindigkeit, Quietus (Wesire)
Allgemeines und Geschichte:
Lange Zeit galten (woran sich bis heute nicht viel geändert hat) die Assamiten als ein Clan der skrupellosen Auftragsmörder, der wie kein anderer die europäische Furcht vor dem östlich-islamischen Eindringling darstellt. Die Banu Haqim („Kinder Haqims“), wie sie sich selbst nennen, behaupten oftmals, von einem Mitglied der Zweiten Generation abzustammen und fühlen sich schon allein deshalb allen anderen Kainiten überlegen. In früheren Nächten wurden sie als gnadenlose Diableristen gefürchtet, und obwohl sie zum Amaranth in den heutigen Nächten nicht mehr fähig sind, haben die Ahnen der anderen Clans doch nicht vergessen, was die Assassinen einst ausmachte.
Während des späten Mittelalters machte sich der Clan daran, mithilfe des osmanischen Imperiums Europa zu erobern. Zu diesem Zweck griffen sie nicht nur aus dem Osten an, sondern schickten ihre Spione aus, um die Anarchenrevolte weiter anzuheizen.
Doch schließlich gelang es den Clans der Camarilla, nicht nur die Anarchenrevolte niederzuschlagen, sondern auch die Assamiten zu besiegen. Zur Strafe wurde der Clan von den Tremere mit einem Blutfluch belegt, der es ihnen unmöglich machte, kainitische Vitae zu trinken – diese würde sie fortan vergiften.
Diese Demütigung haben die Assamiten nie vergessen und sie werden sie auch nie verzeihen.
In den heutigen Nächten verdingen sich die meisten Banu Haqim, die in den Westen kommen, als Auftragsmörder, die sich für Sektenkonflikte nicht groß interessieren und für den arbeiten, der am besten zahlt (meistens mit Blut). Dennoch haben die Assassinen einen gewissen Ruf, angenommene Aufträge auch auszuführen, weshalb man sich auf ihre Dienste verlassen kann.
Dennoch wäre es falsch, die Assamiten als einen reinen Clan der Mörder anzusehen. Zwar finden sich in ihrer Heimat auch Mitglieder anderer Clans (vor allem Jünger des Set und Ravnos, aber durchaus auch Nosferatu, Gangrel oder Lasombra), aber dennoch sehr viel weniger als in Europa, weshalb die Assamiten als Clan weitaus vielschichtiger wurden als die meisten anderen und eine Kastenstruktur entwickelten.
Seit kurzer Zeit scheint sich jedoch etwas geändert zu haben. In Europa und Amerika tauchen immer mehr Assamiten auf, die dem Stereotyp überhaupt nicht entsprechen, was viele Kainskinder äußerst beunruhigend finden.

Sekte:
Die Assamiten sind ein unabhängiger Clan. Sie haben ihre eigenen Ziele, ihre eigene Kultur und sehen partout nicht ein, weshalb sich von einer Sekte repräsentieren lassen sollten. Eine kleine Gruppe von ihnen, die sich nicht der Camarilla beugen wollte, schloss sich allerdings dem Sabbat an und begründete die antitribu-Linie der Assamiten. Bei der Camarila findet man dagegen so gut wie kein Mitglied der Söhne Haqims. Jedenfalls war dies bis vor kurzem noch so…

Clansschwäche:
Früher waren die Assamiten süchtig nach dem Blut anderer Vampire, doch die Niederlage der Assamiten im 15. Jahrhundert bereitete dem ein Ende. Wegen des Blutfluchs der Tremere ist es den Assamiten nicht mehr möglich, kainitische Vitae zu sich zu nehmen. Wenn ein Assamit, aus welchem Grund auch immer, Vampirblut zu sich nimmt, wirkt es wie ein Gift. Allerdings verbreiten sich Gerüchte, denen zufolge der Blutfluch der Tremere gebrochen wurde…

Struktur:
Die Assamiten sind ein äußerst gut organisierter Clan, der von der Festung Alamut („Adlernest“) aus schaltet und waltet. Diese liegt im Mittleren Osten, wobei die genaue Lage allen Nicht-Assamiten unbekannt ist. Dort gibt es den Alten vom Berg, den nominellen Führer des Clans und Vertreter des Vorsintflutlichen, der die Aktionen lenkt.
Es gibt bei den Assamiten auch ein Äquivalent zum Sabbat-Rudel, das sogenannte falaqi. Dabei handelt es sich um eine Gruppe aus drei oder vier Assamiten, die Aufträge für ihre Ahnen ausführen. Assamiten sind allerdings auch sehr oft als Einzelgänger unterwegs.

Erscheinung und Hintergrund:
Während bei den meisten Kainiten die Haut mit zunehmendem Alter immer heller wird, wird die eines Assamiten immer dunkler, die Ahnen und Methusalems des Clans haben schon fast schwarze Haut. Was die Kleidung angeht bevorzugen die Assamiten, die sich in Europa und Amerika zeigen, meistens ein eher Unauffälliges.
Die meisten Assamiten sind natürlich von östlicher Herkunft, allerdings ist es durchaus möglich, dass auch talentierte Menschen aus aller Welt in den Clan aufgenommen werden. In jedem Fall werden potentielle Assamiten mit Bedacht ausgewählt.

Stärke und Einfluss:
Die große Stärker der Assamiten liegt darin, dass sie durch ihre Struktur sehr vielseitig sind. Auch wenn die meisten westlichen Kainskinder glauben, der Clan bestünde nur aus Attentätern, können es die Assamiten durchaus auch mit den Toreador und den Tremere auf ihren Fachgebieten aufnehmen. Darüber hinaus ist vor allem ihre Disziplin Quietus ihre große Stärke, da kaum ein anderes Kainskind sie anzuwenden vermag und sie deshalb schwer einzuschätzen ist.
Der Einfluss der Assamiten in Europa und Amerika ist eher gering, aber in den islamisch geprägten Ländern sind sie der vorherrschende Clan.

Anliegen:
Es ist klar, dass die Assamiten ein Anliegen haben. Die meisten Ahnen der Camarilla erinnern sich noch gut an die Nächte des Mittelalters, als der Clan danach trachtete, Europa zu erobern. Der Blutfluch der Tremere hat den Clan zwar in seine Schranken gewiesen, doch im Allgemeinen traut man dem Frieden nicht.

Blutlinien:
Neben der antitribu-Linie des Sabbat (die nicht unter dem Blutfluch der Tremere leidet), teilt sich der Clan selbst in drei Kasten. Die Krieger sind die Kaste, die im Westen am besten bekannt ist, da sie natürlich die besten sind, um Auftragsmorde auszuführen. Doch es gibt auch eine Hexer-Kaste, die aus fähigen Blutmagiern besteht und eine Wesir-Kaste, die sich um die diplomatischen Angelegenheiten des Clans kümmert. Den meisten westlichen Kainskindern ist allerdings nur die Kriegerkaste bekannt, und viele machen den Fehler, die Assamiten auf diese zu reduzieren.

Wappen:
LogoClanAssamite

 

 

 

 

Verfasst von Hemator.

Kleine Fraktionen

„I know that our enemies hate each other almost as much as they hate us.“
– Tyrion Lannister in der Game-of-Thrones-Episode „The North Remembers“

Die Camarilla und der Sabbat mögen denken, dass sie und ihr Krieg das Schicksal der Kinder Kains bestimmen, doch die Welt der Dunkelheit ist groß und viele Vampire können über diese Annahme nur müde lächeln. Die beiden Sekten sind weit davon entfernt, die einzigen vampirischen Interessensgruppen zu sein. Es gibt andere, ältere Sekten und die Mehrheit von vier ganzen Clans sieht keinen Grund, weshalb man sich einer der beiden Sekten anschließen sollte. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Völlig eigene Ziele, entgegengesetzte Ideologien und Vorstellungen oder die schlichte Meinung, dass Sekten überflüssig sind.

Die Unabhängigen

Es gibt vier unabhängige Clans, deren Mehrheit weder zur Camarilla, noch zum Sabbat oder den Anarchen gehört, sowie einzelne Autarkis aus sieben bzw. zwei Clans der Sekten und natürlich die Mitglieder der neutralen Blutlinien.
Drei der unabhängigen Clans kann man getrost als Fraktion für sich ansehen, der vierte wird der Vollständigkeit halber hier ebenfalls aufgelistet. Die anderen Autarkis sind zumeist Einzelgänger, die sich nichts und niemandem verpflichtet fühlen, auch wenn sie für gewöhnlich die Gesetze einer Stadt, die sie besuchen, befolgen, einfach weil es alles viel einfacher macht.

Die Assamiten
Die Assamiten sind neben den Tremere, Giovanni und Setiten der am besten organisierteste Clan und haben wie die oben genannten ganz eigene Ziele. Die Banu Haqim, wie sie sich selbst nennen, sind in Europa und Amerika hauptsächlich als wandernde Assassinen bekannte, während sie in den islamischen Ländern die Mehrheit bilden.
Die westlichen Kainiten wissen im Allgemeinen recht wenig von diesem Clan. Bekannt ist natürlich, dass sie im späten Mittelalter versuchten, Europa zu erobern, dass sie dabei allerdings von der neu gegründeten Camarilla besiegt wurden, woraufhin die Tremere sie mit einem Blutfluch belegten, der verhinderte, dass sie Diablerie begehen konnten. Seither arbeiten die meisten Assamiten in den westlichen Ländern als Auftragsmörder, denen die meisten Prinzen und Erzbischöfe allerdings nicht weiter trauen, als sie spucken können. Die intelligenteren Ahnen vermuten, dass die Assamiten immer noch ein genaues Ziel haben und früher oder später wieder gegen sie vorgehen werden. Sie wissen nur nicht genau, was dieses Ziel ist und was geschehen muss, bis die Assassinen losschlagen.

Die Giovanni
Zwar ist die Aussage, die Giovanni seien die Vampir-Mafia, eine grobe Vereinfachung, die jedes Mitglied dieses Clans maßlos erzürnen würde, aber gewisse Parallelen sind nun einmal nicht von der Hand zu weisen. Die Giovanni, sowohl Familie als auch Clan, haben generell zwei Interessen: Geld und Leichen. Das erste versteht sich von selbst; lediglich die Ventrue sind den Giovanni in Sachen Geldgeschäfte und Einfluss auf die sterbliche Welt (speziell die sterbliche Wirtschaftswelt) ebenbürtig, wobei die Ventrue meistens die scheinbare Legalität bevorzugen, während die Giovanni sich bereitwillig an Prostitution, Glücksspiel, Drogenhandel etc. beteiligen. Das zweite Interesse hat weniger mit dem Ruf der Giovanni zu tun, nekrophil zu sein, sondern mehr mit der speziellen Blutmagie dieses Clans: Die Giovanni sind Nekromanten, die Kontakt zur Geisterwelt herstellen, Todesalben befehligen und alles Mögliche mit Leichen tun können. Die meisten Kainskinder glauben, die Giovanni versuchen über Nekromantie an Geld und damit an Macht zu kommen. Nur die wenigsten wissen, dass es eigentlich genau umgekehrt ist und was die venezianische Familie eigentlich antreibt…
In den meisten Städten Amerikas gibt es einen oder mehrere Giovanni, die die Interesse der Familie vertreten und sich, um den Vergleich noch einmal zu bemühen, in etwa so verhalten wie lokale Mafiabosse.

Die Jünger des Set
Die Jünger des Set (auch Jünger des Seth (je nach Schreibweise) oder Setiten) sind ebenfalls ein Clan mit einem bzw. zwei einheitlichen Zielen. Ähnlich wie die Assamiten sind auch die Jünger des Set eher in süd-östlichen Gefilden anzutreffen, vornehmlich im Nahen Osten und Afrika. Aber auch auf den karibischen Inseln ist ihr Einfluss enorm und die fortschreitende Verderbtheit der amerikanischen Großstädte zieht sie beinahe magisch an.
Das unmittelbare Ziel der Setiten ist es, Verderbnis und Korruption zu verbreiten. Egal welches Laster man hat, die Setiten können das Nötige beschaffen – allerdings zum Preis der Abhängigkeit von ihnen. Durch diese Methode versuchen sie, ihr globales Ziel zu erreichen: Die Jünger des Set glauben, von dem gleichnamigen ägyptischen Gott abzustammen und trachten danach, ihn wiederzuerwecken, auf dass er die Welt beherrsche. Obwohl dieses Ziel in direktem Gegensatz zu Camarilla (die offiziell nicht an die Vorsintflutlichen glaubt) und Sabbat (der die Vorsintflutlichen vernichten will) steht, hält sie das dennoch nicht davon ab, hin und wieder Geschäfte mit den Setiten zu machen. In der Tat bemühen sich die meisten Mitglieder dieses Clans um Neutralität im Sektenkampf, verbreiten weiter ihre Verderbnis und arbeiten für (oder mit) dem, der am meisten zahlt.

Die Ravnos
Die Ravnos sind unbeliebt und missverstanden. Obwohl sie in Indien der zahlreichste Clan sind, werden sie in der westlichen Welt für gewöhnlich als bloße Diebe und Scharlatane abgetan – allerdings meistens nicht ganz zu Unrecht.
Dennoch kann man bei den Ravnos nicht von einer Fraktion sprechen, wie erwähnt sind sie hier nur der Komplettheit halber aufgeführt. Die meisten Ravnos in Europa und Nordamerika sind Einzelgänger, die niemandem, nicht einmal ihren eigenen Clansgenossen, trauen.
Allerdings scheint sich in der Heimat dieses Clans gerade etwas zu verändern. Wenn man den Gerüchten glauben darf, die manche Ravnos erzählen, erheben sich in ihrer Heimat vermehrt Ahnen und Methusalems mit grässlicher Macht. Kommt Gehenna näher?

Andere Sekten und Gruppierungen

Neben Camarilla, Sabbat und Anarchen gibt es noch weitere Sekten und kainitische Gruppierungen, die zum Teil weitaus älter sind als die oben genannten, wenn auch meistens kleiner und weniger einflussreich, zumindest in Europa und Amerika.

Die Inconnu
Es heißt, nach dem Fall Roms hätten sich einige einflussreiche und mächtige Kainiten dazu entschlossen, sich vom Dschihad zurückzuziehen. Diese Gruppe ist als Inconnu bekannt, doch worum es sich genau bei dieser Sekte (bzw. Interessensgemeinschaft) handelt, weiß eigentlich niemand. Soweit die meisten Kainskinder sagen können, tun die Inconnu nichts – und genau das ist es, was sie nervös macht, schließlich liegt das Kämpfen und Intrigieren den Vampiren im Blut. Streben die Inconnu nach Golconda oder haben es vielleicht schon erreicht? Sind sie die wahren Herren des Dschihad, deren Intrigen so meisterhaft sind, dass niemand sie entdecken kann? Wollen sie Gehenna herbeiführen? Wollen sie Gehenna verhindern?
Obwohl es ein paar Inconnu gibt, die über Städte wachen, sogenannte Monitore (man sollte allerdings vorsichtig dabei sein, diese als Inconnu-Äquivalent zu den Prinzen zu verstehen), etwa Rebekah in Chicago oder Dondinni in Genua, zweifeln viele Vampire daran, ob die Inconnu überhaupt existieren. Vielleicht liegt es auch daran, dass diese Monitore um ihre Natur wenig Aufhebens machen und so nur wenige Kainiten überhaupt von ihrer Existenz wissen.

Die Wahre Schwarze Hand
Man munkelt, es gebe innerhalb der Schwarzen Hand des Sabbat eine noch geheimere Gruppierung, die Wahre Schwarze Hand, also quasi eine Sekte innerhalb einer Sekte innerhalb einer Sekte. Angeblich kontrolliert die Wahre Schwarze Hand den Sabbat fast vollkommen, ebenso wie die Camarilla und hat in ihren Reihen einige extrem seltenen Blutlinien. Ähnlich wie bei den Inconnu ist sich niemand so genau sicher, was die Wahre Schwarze Hand will. Die Geschichten über sie sind noch ominöser als jene über die Inconnu.

Die Ashirra
Die Ashirra entstand im frühen Mittelalter in den arabischen Ländern und ist eine islamische Sekte. Während in Europa die Lange Nacht und der Krieg der Prinzen tobte, erreichte die Ashirra den Höhepunkt ihrer Macht und ihres Einflusses. Sie existiert auch in den heutigen Nächten noch, allerdings hat sie einiges an Einfluss eingebüßt. Es gibt noch weitere islamische Sekten, die allerdings um einiges kleiner sind als die Ashirra und noch weitaus weniger bekannt in den westlichen Ländern.
„Ashirra“ dient auch oft als Sammelbegriff für alle Kainiten islamischen Glaubens, egal, ob sie der Sekte angehören oder nicht.

Gehenna-Kulte
Kulte, die sich auf die eine oder andere Art auf Gehenna vorbereiten (entweder Herbeiführung oder Verhinderung anstreben oder sich auf andere Art und Weise damit beschäftigen) gibt es wie Sand am Meer. Einige existieren bereits seit dem Mittelalter, doch im 20. Jahrhundert hat ihre Zahl sprunghaft zugenommen.
Es handelt sich dabei meist um kleinere Zirkel, obwohl man auch den Sabbat als sehr großen Gehenna-Kult bezeichnen könnte (was aber niemand tut, der noch bei Verstand ist). Die meisten dieser Zirkel haben in etwa die Reputation der Zeugen Jehovas und werden von den meisten Kainskindern eher belächelt denn ernst genommen.

Verfasst von Hemator.

Empfehlung: Frühe Klassiker der Vampirliteratur

„This is just the beginning…“
– Count Dooku in „Star Wars Episode II: Attack of the Clones“

Einer der Gründe, weshalb „Vampire: The Masquerade“ mich so begeistert, ist die Tatsache, dass das Rollenspiel sich der Traditionen, denen es folgt, sehr bewusst ist. Wer Inspiration für das Rollenspiel sucht, macht bei den Klassikern der Vampirliteratur jedenfalls mit Sicherheit nichts falsch. Darüber hinaus bekommt man für Vampire im Allgemeinen ein weitaus besseres Gespür, wenn man ihre (literarische) Geschichte kennt.
Diese Artikelreihe befasst sich speziell mit Büchern, Filmen und anderen Medien, die „Vampire: The Masquerade“ vorausgingen und beeinflussten, dem Rollenspiel nachfolgten oder anderweitig eine gute Inspirationsquelle darstellen. Besonders bei Letzterem muss es sich nicht ausschließlich um Medien handeln, die Vampire thematisieren.

Der Vampyr
the-vampyre
Geschichten über blutsaugende Geister und Dämonen sind sehr alt und finden sich in allen Kulturen, der Vampir wie wir ihn heute kennen existiert aber erst seit dem 19. Jahrhundert. Zuvor waren Vampire in den osteuropäischen Volkssagen eher zombiehaft – tumbe, blutsaugende Leichen, denen man ihren Zustand auch ansah. Der „klassische“, sprich: aristokratische Vampire erlebte sein Debüt 1819, als die von John William Polidori verfasste Kurzgeschichte „Der Vampyr“ (Originaltitel: „The Vampyre“) erschien (verfasst wurde sie bereits 1816). Mit Lord Ruthven erschuf Polidori, der der Figur Züge seines Freundes Lord Byron verpasste, den ersten verführerischen Gentleman-Vampir, der sich in adeligen Kreisen bewegt. Die Geschichte handelt von dem jungen Percy Aubrey, der bei seiner Einführung in die Gesellschaft dem charismatischen Lord Ruthven begegnet. Aubrey ist von Ruthven sofort beeindruckt und begibt sich mit ihm auf eine Europareise. Während dieser Reise wird er allerdings von Ruthvens hedonistischem Lebensstil immer stärker abgestoßen, sodass die beiden sich schließlich trennen. In Griechenland verliebt sich Aubrey schließlich in ein junges Mädchen, das unter mysteriösen Umständen stirbt. Dadurch erfährt er von der Legende des blutsaugenden Vampirs. Schließlich taucht Ruthven wieder auf und hilft ihm über seine Trauerphase hinweg. Doch auch Ruthven ereilt bald darauf der Tod, denn scheinbar werden er und Aubrey von Räubern angegriffen, die zwar vertrieben werden können, Ruthven ist jedoch schwer verletzt. Aubrey muss ihm das Versprechen abnehmen, ein Jahr und einen Tag lang über ihn zu schweigen.
Bei seiner Rückkehr erfährt er, dass seine Geliebte Schwester inzwischen mit dem Earl von Marsden verlobt ist, bei dem es sich um niemand anderen als Lord Ruthven handelt, wie Aubrey entsetzt feststellen muss. Erst jetzt wird ihm das volle Ausmaß von Ruthvens vampirischer Natur klar. Dennoch ist er nach wie vor an seinen Schwur gebunden. Als das Jahr und der Tag schließlich verstrichen sind, ist es zu spät: Aubreys Schwester und Ruthven sind spurlos verschwunden.
Ruthven ist quasi der Prototyp-Vampir; viele der späteren Eigenschaften sind schon vorhanden, auch wenn Ruthven noch verhältnismäßig frei von Einschränkungen ist – die Sonne als Mittel zur Vernichtung der Vampire beispielsweise wurde erst mit Murnaus „Nosferatu“ eingeführt. Dennoch, der Vampir agiert hier erstmals als erotische Figur, als attraktiver und ambivalenter Jäger.
Zwar beeinflusste er auch Dracula, doch Ruthvens eigentlicher geistiger Nachfolger ist Anne Rice‘ Lestat de Lioncourt, zumindest so, wie er in „Interview mit einem Vampir“ dargestellt wird. Im Gegensatz zu Dracula, der praktisch von Anfang an eine antagonistische Figur ist, besitzt Ruthven durchaus sympathische Züge und nimmt für Percy Aubrey eine ähnliche Mentorenrolle ein wie Lestat für Louis.
Obwohl Polidoris Geschichte heute nur noch recht wenigen bekannt ist (in erster Linie natürlich denen, die sich mit den literarischen Hintergründen der Vampire beschäftigen), war sie nach dem Erscheinen äußerst erfolgreich und löste quasi die erste Vampirbegeisterung der Geschichte aus. Der Roman wurde vielfach adaptiert, u.a. als Theaterstück und Oper und sogar Johann Wolfgang von Goethe fand lobende Worte, auch wenn er, wie viele andere, annahm, dass Byron und nicht Polidori die Geschichte verfasst hatte.
Erfreulicherweise bewiesen die Autoren von White Wolf, dass sie diesbezüglich ihre Hausaufgaben gemacht hatten, denn in mehreren Quellenbänden taucht der Tzimisce-Methusalem Lambach Ruthven auf. Die Figur hat zwar mit dem ursprünglichen Ruthven aus Polidoris Geschichte relativ wenig zu tun, allerdings ist sie der Erzeuger Draculas – ein netter Insidergag, denn ohne Ruthven wäre Stokers Roman vermutlich nie entstanden.
Nach heutigen Maßstäben mag Polidoris Erzählung freilich schon recht altbacken und darüber hinaus ziemlich ausschweifend wirken, ihre Bedeutung kann allerdings nicht oft genug betont werden. Wer sich mit Vampirliteratur beschäftigt, kommt an „Der Vampyr“ schlicht nicht vorbei. Besonders empfehlenswert ist übrigens die Hörspieladaption aus der Reihe „Gruselkabinett“. Diese Reihe hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Klassiker der Schauerliteratur als hochwertige Hörspiele zu adaptieren. Dabei wurden die meisten Vorlagen, wie auch „Der Vampyr“ ein wenig entschlackt und für das moderne Publikum zugänglicher gemacht, ohne sie zu verfälschen.

Die Familie des Wurdalak
wurdalak
Polidoris Geschichte beeinflusste viele weitere Werke, etwa Alexei Konstantinowitsch Tolstois „Die Familie des Wurdalak“ (auch unter dem Titel „Die Familie des Vampirs“; Originaltitel: „La Famille du Vourdalak. Fragment inedit des Memoires d’un inconnu“). Diese Geschichte, die leider ebenfalls eher unbekannt ist, arbeitet stärker mit den osteuropäischen Volkssagen als „Der Vampyr“. Sie handelt von dem französischen Gesandten Serge d’Urfé, der ein Jahr vor der Französischen Revolution nach Serbien muss. Er wird jedoch vom Wintereinbruch überrascht und versucht in dem kleinen Dorf Kisolova Zuflucht zu finden. Lediglich eine Familie ist bereit, ihn für die Nacht aufzunehmen. Gortscha, das Familienoberhaupt, befindet sich auf der Jagd nach dem Räuber Alibeg, der angeblich ein Wurdalak, ein Vampir, ist. Der Rest der Familie, unter anderem auch Gortschas schöne Tochter Zdenka, in die sich Serge verliebt, warten voller Angst auf seine Rückkehr. Diese erfolgt schließlich, doch Gortscha ist verändert, und schon bald stellt sich heraus, dass auch Gortscha nun ein Vampir ist, dem nach und nach seine ganze Familie zum Opfer fällt. Serge gelingt schließlich die Flucht, doch muss er die geliebte Zdenka, die nun ebenfalls eine Untote ist, zurücklassen.
Diese Geschichte hat weniger direkt nachvollziehbaren Einfluss auf „Vampire: The Masquerade“ (wohl aber auf „Dracula“), ist allerdings hervorragend dazu geeignet, ein gutes Gefühl für Atmosphäre und Spannung zu bekommen; speziell für Rollenspielrunden, die „Victorian Ages Vampire“ (das Subsystem, das als Setting das viktorianische Zeitalter verwendet) benutzen oder in Osteuropa spielen (oder beides). Tolstoi baut zwar langsam, aber gekonnt die Spannung und den wachsenden Schrecken auf, während immer mehr Mitglieder von Gortschas Familie zu Vampiren werden. Auch „Die Familie des Vampirs“ wurde (unter diesem Titel) als Gruselkabinett-Hörspiel adaptiert und ist äußerst empfehlenswert.

Varney, der Vampir oder das Fest des Blutes
Varney_the_Vampire
Ein weiterer geistiger Nachfahre Ruthvens ist Varney. „Varney, der Vampir oder das Fest des Blutes“ (Originaltitel: „Varney the Vampire; or, the Feast of Blood”). Dieses Werk ist noch obskurer als die beiden vorangegangen und auch noch unbekannter, was hauptsächlich daran liegen dürfte, dass es kaum noch zu bekommen ist. Nicht einmal die Autorenschaft konnte eindeutig geklärt werden, gewöhnlich wird es James Malcolm Rymer oder Thomas Preskett Prest zugeschrieben. Der über 800 Seiten starke Roman wurde ursprünglich in Form der sog. „Penny Dreadfuls“ (oder „Schundheftchen“) herausgebracht und handelt von dem Vampir Sir Francis Varney und seiner Beziehung zur verarmten Adelsfamilie der Bannerworths. Viele der Elemente, die in „Varney der Vampir“ zum ersten Mal auftauchten, sind später auch in „Dracula“ zu finden und gehören heute zum „vampirischen Allgemeingut“. So haust Varney in einem alten Schloss, ist leichenblass und hat spitze Zähne. Darüber hinaus findet sich hier der Vampir auch zum ersten Mal in der Rolle des Protagonisten, ein Konzept, das schließlich zu „Vampire: The Masquerade“ führt.

Carmilla
carmilla
Die wohl wichtigste und nach allgemeiner Meinung auch beste Geschichte der Vampirliteratur aus der Prä-Dracula-Ära ist wohl eindeutig Sherdian Le Fanus 1872 erschienen Novelle „Carmilla“. Mit dieser erschuf Le Fanu den Prototyp des verführerischen weiblichen, oft lesbischen Vampirs.
Das Ganze spielt in der Steiermark in Österreich und ist in Form von Memoiren der Hauptfigur Laura geschrieben. Dies lebt ziemlich einsam mit ihrem Vater und zwei Gouvernanten in einem alten Schloss. Eines Tages begegnen Laura und ihr Vater einer alten Frau, die einen Kutschenunfall. Sie sagt, sie müsse eilig weiter, bittet jedoch Lauras Vater, ihrer Tochter Carmilla eine Weile bei sich zu beherbergen. Da Laura nur selten gleichaltrige Gesellschaft hat, ist sie sofort Feuer und Flamme und freundet sich rasch mit Carmilla an. Doch schon bald gibt es eigentümliche Vorkommnisse. So ähnelt ein Bild von einer Vorfahrin Lauras, Millarca von Karnstein, Carmilla verblüffend, sie hat Alpträume von schwarzen Katzen und erkrankt bald darauf. Natürlich kommt es, wie es kommen muss: Laura und ihr Vater finden mithilfe des befreundeten General Spielsdorf, der etwas Ähnliches erlebt hat, heraus, dass Carmilla in Wahrheit eine Vampirin (und in der Tat Millarca von Karnstein) ist. Letztendlich wird sie erfolgreich gepfählt, aber Laura wird wohl für ihr Leben gezeichnet sein.
In „Carmilla“ findet man viele der traditionellen Elemente; etwa die Vorliebe des Vampirs für Familienmitglieder, aber auch schon vieles, das auf „Dracula“ hindeutet. „Carmilla“ hatte nachweisbar den größten Einfluss auf Stoker. Ursprünglich sollte „Dracula“ ebenfalls in der Steiermark spielen, bevor Transsylvanien zum Handlungsort wurde. In dem verworfenen Prolog, der später als Kurzgeschichte mit dem Namen „Draculas Gast“ veröffentlicht wurde, gibt es sogar einen direkten Hinweis. Auch viele der Szenen aus und Ereignisse aus „Dracula“ lassen sich auf „Carmilla“ zurückführen, etwa endgültige Tötung Lucys. Sehr interessant sind allerdings auch die Unterschiede. So ist zum Beispiel Carmillas bevorzugtes Tier (in das sie sich u.a. auch verwandelt), nicht der Wolf oder die Fledermaus, sondern die Katze.
Nebenbei ist „Carmilla“ auch noch eine extrem gelungene und atmosphärische Gothic-Horror-Story, die man sich als Liebhaber dieses Genres nicht entgehen lassen darf und die ebenfalls als Gruselkabinett-Hörspiel existiert.

Verfasst von Hemator